04 Jan
04Jan

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Auf den ersten Blick wirkt sie etwas klobig diese Josephsskulptur mit dem Christuskind. Aber eigentlich ist es weniger die Schnitzarbeit als die Fassung, die so aussieht, als wäre eine rohe Farbe achtlos darüber gepinselt worden. Die Haut des nur mit einem Lendenschurz bekleideten Kindes sowie Gesicht und Hände des heiligen Joseph sind im gleichen beigebraunen Farbton. Die Tunika mit den langen Ärmeln ist nur etwas dunkler und reicht bis auf den Boden. Etwas über Hüfthöhe wird sie von einem braunen Gürtel zusammengebunden. Der Kragen ist mit einem Knopf geschlossen. Nur eine Fussspitze des Heiligen schaut hervor. Auf dem Sockel ist deutlich der goldfarbene Schriftzug «HL. JOSEPH» lesbar. 

Das lange gelockte Haar und der gekräuselte Bart sind in einem etwas dunkleren Braun als die Haare des Kindes. Farblich hebt sich die blaue Toga mit aufgemalten goldenen Lilien deutlich von den Brauntönen ab. Auf der Tunika unterhalb des Gürtels sind noch knapp sichtbar Symbole einer Art Pflanze mit vier blauen länglichen Blättern und einem ringförmigen Kelch dargestellt. Hier scheint es, als würden diese unter einer Übermalung durchschimmern. War diese Übermalung vielleicht ein Schutz um die Skulptur vor Verfall zu bewahren oder sie für Diebe weniger interessant zu machen. 

Joseph hat seinen Kopf etwas nach links gewandt, auch das Christuskind schaut in die gleiche Richtung. Sein rechter Unterarm ist zum Segnen angehoben. Daumen, Zeige- und Mittelfinger sind ausgestreckt, vielleicht ein Symbol der Dreifaltigkeit. In der linken Hand trägt das Kind als Zeichen seiner göttlichen Herrschaft über die Welt eine Kugel. Josephs flache rechte Hand ruht auf seinem Herzen. Mit dem rechten Arm hält er das Kind in sitzender Haltung an seine rechte Seite gezogen. Dessen linker Fuss stützt sich leicht auf der bauschig umgeschlagenen Innenseite der Toga ab. 

Auf der Rückseite sind zwei mehr oder weniger starke Risse im Holz sichtbar. Im tieferen etwas links von der Mitte sind auf Hüfthöhe Mörtelbrocken hängen geblieben. Der andere Riss ist vor allem im unteren Bereich deutlicher erkennbar. An der linken Schulter sieht es aus als wären zwei grob geformte Holzstücke mit dicken rostigen Nägeln an die Figur angeschlagen. Im Spalt zwischen den beiden Holzstücken haften dicke Mörtelklumpen. Es könnte sein, dass sich an dieser Stelle eine Verbindung befand, welche die Figur an einer verputzten Wand befestigte. Ausser der blauen Farbe der Toga ist das Holz hinten unbemalt und roh. Man sieht noch Schnitte eines groben Schnitzwerkzeugs, die fast symmetrisch aneinander angewinkelt von unten nach oben länger werden und einem Tannenmotiv ähneln. 

Lange war mir nicht klar, warum der heilige Joseph diese Toga mit den Lilien trägt. Die Lilie ist ja auch ein wichtiges Symbol der französischen Könige. Der prächtige Krönungsmantel Ludwig XIV. ist in einem ähnlichen Blau wie die Toga dieses heiligen Josephs und mit goldenen aufgestickten Lilien verziert. Wenn man die Bedeutung der Lilie versteht, wird klar, was den den Heiligen mit dem französischen Königtum verbindet. Bei der Suche nach dem geeigneten Mann für die heilige Maria wurde er aus einer Reihe anderer Kandidaten erkoren, weil aus seinem Stab eine Lilie spross. Diese ist ein Symbol für die Reinheit und so wurde Joseph als Gatte der Muttergottes ausgewählt. 

Auch bei den französischen Königen ist die Lilie ein Symbol der Reinheit. Sie geht auf den Frankenkönig Chlodwig zurück, dem bei seiner Bekehrung zum Christentum von einem Engel oder gar der Muttergottes eine goldene Lilie als Zeichen seiner Reinigung durch die Taufe geschenkt worden sei. Karl dem Grossen wurde bei seiner Krönung durch Papst Leo III. ebenfalls eine Lilie auf blauem Banner geschenkt. Die französischen Könige haben später dieses Symbol als Zeichen ihrer Verbundenheit mit der Kirche übernommen. Schliesslich zierten drei Lilien auf blauem Grund das französische Königswappen und waren somit auch das Hoheitszeichen Frankreichs. 

In anderen Skulpturen wird der heilige Joseph mit der Lilie dargestellt, die aus seinem Stab herauswächst, wie es die Legende erzählt. Diese Skulptur des heiligen Joseph ist wohl im Barock entstanden. Die Aufschrift «HL. JOSEPH» verweist auf den deutschen Sprachraum. Ludwig XIV. dürfte dort als mächtiger und kriegerischer König in dieser Epoche nicht den besten Eindruck gemacht haben. Zu sehr war seine Herrschaft mit dem Leid von Menschen verbunden, das durch seine Kriegszüge ausgelöst wurde. Könnte ein einfacher Skulpturenschnitzer mit den herrschaftlichen Farben und dem Liliensymbol auf der Toga zum Ausdruck gebracht haben, dass auch der französische König einst vor seinen Schöpfer treten müsse und von ihm für seine Taten gerichtet würde. 

Anlässlich der Ruhe und Erhabenheit, die der heilige Joseph in dieser Skulptur ausstrahlt, kann man sich des Gedankens nicht erwehren, dass vielleicht gar nicht der Gatte der Muttergottes dargestellt wurde, sondern der Vater, der sein eigenes Kind auf dem Arm trägt, den Sohn Gottes, der als Erlöser in seinem Auftrag  zu den Menschen gekommen ist. So gesehen könnte die blaue Toga mit den Lilien auch bedeuten, dass sie von einer Macht getragen wird, vor der auch die weltlichen Herrscher mit all ihrem Prunk und ihren Insignien Rechenschaft ablegen müssen.

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