28 Jun
28Jun

Die neue Muse und die schwarze Katze 

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Es ist für Künstler nicht immer einfach passende Modelle zu finden, geschweige denn Aktmodelle, die den ästhetischen Ansprüchen gerecht werden. So stelle ich mir vor, dass Emanuele Pandolfini nicht von ungefähr eine etwas unsicher wirkende Dame, gekleidet in eine dünne, gestreifte Bluse, zuerst einmal stehend als Halbfigur mit einer schwarzen Katze auf dem rechten Unterarm darstellte und einmal als Ganzfigur, liegend, ohne Katze und ohne gestreifte Bluse. 

Denn obwohl beim Akt der Kopf nur noch bis zur Stirn Platz hatte, bin ich fast sicher, dass es sich bei den beiden Radierungen um dieselbe Frau handelt. Schaut man genauer hin, fällt bei der Halbfigur auf, dass die gestreifte Bluse fast so aussieht, als wäre sie auf dem Körper aufgemalt. Die linke Schulter ist unbedeckt und die linke Brust ist als Wölbung angedeutet. Als geübter Zeichner und Maler hätte Pandolfini das Kleidungsstück viel besser hingebracht, wenn er das gewollt hätte. 

Es ist also nicht ganz klar, ob es sich hier um einen halbseitigen Akt handelt. Der unsichere Blick der Dame lässt einen nicht im Unklaren über ihre Befindlichkeit. Sie scheint sich ziemlich unwohl zu fühlen und weiss gar nicht recht, wie sie in diese unangenehme Situation geraten ist. Komm uns ja nicht zu nahe, warnt ihre Katze mit ausgefahrenen Krallen drohend. Der Künstler fügt sich demütig in sicherer Distanz vor dem kleinen Ungeheuer, nimmt was er bekommt und zeichnet die Frau in wenigen Strichen. Dann kaschiert er den Akt mit der aufgemalten Bluse. 

Die folgende Geschichte ist frei erfunden, inspiriert von den beiden Radierungen von Pandolfini, pure Fantasie, darum verwende ich den Namen des Künstlers in der Geschichte nicht mehr. 

Für heute lassen wir es gut sein, sagte der Maler nach dieser ersten Arbeit zu der Frau, die quasi als Notbehelf eingesprungen war, da Gina, sein Lieblingsmodell, an diesem Tag wegen einer schlimmen Erkältung ausgefallen ist. Es klang  ihm noch in den Ohren, der Vorwurf, es sei ja kein Wunder, dass sie sich in seinem zugigen, ungeheizten Atelier fast den Tod geholt habe. Aber das merke er ja selber nicht in seinem dicken Pullover. Doch brauchte er dringend einen Ersatz. Er blickte aus dem Fenster seines Ateliers und entdeckte ganz zufällig eine Dame im kleinen Park, der an sein Haus grenzte. 

Sie war gut angezogen, sah sehr manierlich aus. Eine hässliche schwarze Katze folgte ihr auf Schritt und Tritt. Die Dame schien sehr eingenommen von dem garstigen Tier, rief es mit Kosenamen und hielt ständig inne um es liebevoll zu streicheln. Der Maler fasste sich ans Kinn und überlegte, wie er sie eventuell fragen könnte, ob sie ihm als Modell einspringen würde. Er wusste aus Erfahrung, dass die Sache sehr heikel war, denn bei einem solchen Ansinnen, könnte er leicht als Sittenstrolch in Verruf geraten. Aber er wusste auch, dass Frauen fast nichts lieber hören als Komplimente über ihre Schönheit. 

Ohne weiter nachzudenken öffnete er das Fenster seines Ateliers. Haben sie zufällig eine grau gestreifte Katze im Park gesehen, fragte er die Dame. Der Maler besass überhaupt keine Katze, aber das brauchte die Dame ja nicht zu wissen. Diese blickte auf und hatte ihn offenbar gar nicht verstanden. Er wiederholte seine Frage. Die Dame schaute ihn erstaunt an, als könnte sie es gar nicht glauben, dass noch jemand ausser ihr im Besitz einer Katze war. Nein, tut mir leid, meinem Kater Schnurrli wäre das sicher nicht entgangen, entgegnete sie schliesslich etwas kurz angebunden. 

Schnurrli hiess es also, dieses grausliche Viech, das wohl einer alten buckligen Hexe entlaufen war. Ein wunderschönes Tier, ihr Schnurrli, welch passender Name, flötete der Maler mit betörender Stimme. Spontan kam ihm das bekannte Vexierbild in den Sinn, das je nach Betrachtungsweise eine adrette junge Dame oder eine hässliche alte Hexe darstellt. Ob die Dame selber vielleicht eine Hexe ist? fragte er sich. Doch er verwarf den Gedanken sogleich und stellte sich mit einer galanten Verbeugung vor. Die Dame betrachtete ihn mit einem etwas unsteten Blick und schien nachzudenken. 

Sind Sie etwa dieser Künstler, der diese wunderbaren Grafiken macht? Die habe ich nämlich schon gesehen, in einer Galerie in der Stadt. Ja genau, der bin ich bestätigte der Maler begeistert und mit welcher erlauchten Person ist es mir vergönnt Bekanntschaft zu machen. Signora Scazzamauriello, Eleonora Scazzamauriello, stellte sich die Dame ihrerseits vor. Scazza..., Scazzamu..., stotterte der Künstler. Scazzamauriello, berichtigte die Dame. Ihr Gesprächspartner begann zu überlegen, die Scazzamaurielli, das hatte er schon gehört, waren das nicht diese, diese ... ? Ja, was eigentlich? Aber es blieb ihm nicht genügend Zeit darüber nachzudenken. 

Sehr erfreut meine gnädige Dame, gerade bin ich an einer wichtigen Arbeit und leider fehlt mir meine Katze. Ihre Katze, aber warum denn? fragte Signora Scazzamauriello. Aber Sie wissen doch... , wenn Sie meine Arbeiten ja schon gesehen haben, wie wichtig Katzen für mich sind. - Ach so, aber daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. - Gewiss doch, Katzen, diese geheimnisvollen Wesen aus einer scheinbar anderen Welt..., betonte der Maler und deutete dabei mit einem flehenden Blick auf Schnurrli, der ihn mit feurig bösem Blick zu durchbohren schien. 

Die Dame schien ihn aber nicht zu verstehen und war schon dabei sich abzuwenden. Ja, wenn Sie mir aushelfen könnten bei meinem neuesten Kunstwerk, stammelte der Künstler schon ganz verzweifelt. Ich? fragte die Dame erstaunt. - Ja, Sie, nein, ich meine Ihre Katze, Sie mit Ihrer Katze, Signora. - Aber das geht doch gar nicht, mein lieber Herr, wir kennen uns ja überhaupt nicht, entgegnete die Dame entrüstet. Ich kann doch nicht einfach... - Aber machen Sie sich darüber keine Gedanken, Verehrteste, dem Kater passiert doch nichts. Kann er denn überhaupt stillsitzen? - Schnurrli? - Ja, genau, ihr reizvoller, liebenswerter Kater. 

Schnurrli machte einen bösen Buckel, als er seinen Namen aus dem Mund des ihm verhassten Malers vernahm und liess ein unheimliches Grollen hören. Natürlich kann er das, versicherte Frau Scazzamauriello. – Ja, wäre es denn möglich, dass Sie mir mit ihrem lieben Tierchen für einen klitzekleinen Augenblick Modell stehen würden. - Na ja, ich denke das sollte gehen, aber wirklich nur für einen Moment. Muss ich denn zu Ihnen hereinkommen? - Ich bitte sie darum, wenn Sie sich die Mühe machen wollen, flehte der Maler. Gehen sie einfach ums Haus. Die Eingangstüre ist auf der anderen Seite. Die Dame nickte und machte sich auf den Weg. 

Der Künstler öffnete die Türe, verbeugte sich tief und bat die Dame einzutreten. Schnurrli folgte seiner Herrin federnden Schrittes mit steil aufgerichtetem Schwanz. Schon waren sie im Atelier, wo sich die Dame etwas misstrauisch umschaute. Da gab es dutzende von Skizzen, halbfertigen Zeichnungen und Leinwänden in allen Grössen. Die einen an die Wände geheftet andere lagen auf dem Boden oder auf einem grossen Tisch mit einem Wirrwarr von Stiften, Pinseln, Paletten, Farbtuben, fleckige Lumpen und einer Vielzahl anderer Malutensilien. Mehrere Staffeleien standen im Raum, mittendrin eine schmutzige Liege. 

Der Blick der Dame schweifte über die Arbeiten des Künstlers. Diese liessen vor allem weibliche Körper in allen Stellungen, Posen und Verrenkungen erkennen. Eine machte einen Purzelbaum, eine andere sass mit übergeschlagenen Beinen auf einem hohen Stuhl, wieder eine andere schaute mit ihrem Gesicht zwischen den nackten Beinen hindurch und so weiter. Auf Kleidung hatte der Künstler bei allen Darstellungen verzichtet. Lassen Sie sich davon nicht stören, beruhigte sie der Künstler. Wenn ich Sie nun bitten dürfte. Die Dame erschrak. Sie wollen doch nicht... ? – Aber wo denken Sie denn hin. Wie gesagt, es geht nur um die Katze, beschwichtigte der Besitzer des Ateliers. Es ist sowieso alles für die Katze, dachte er resigniert. 

Nach einigem Hin und Her und viel gutem Zureden brachte er die Dame soweit, dass sie sich dort hinstellte, wo er sie haben wollte. Schnurrli sprang auf ihren rechten Vorderarm und schien dort förmlich zu schweben und diese merkwürdige Pose schien die Dame auch gar nicht anzustrengen. Wie ein Wachhund hielt Schnurrli mit hochgerecktem Kopf seine Stellung mit ausgefahrenen Krallen, bereit sofort anzugreifen, wenn sich der Maler erkühnen sollte der Dame zu nahe zu kommen. Dieser nützte die Gelegenheit und hielt die Szene mit wenigen Strichen gekonnt auf seinem Blatt fest. 

Er wollte sich schon damit zufrieden geben, als die Dame ihn unvermittelt fragte, ob sie sich nicht auf der Liege etwas ausruhen dürfe. Sie legte sich exakt in der Position hin, wie wir sie auf dem Blatt ohne Katze kennengelernt haben. Diese hatte sich nämlich unter die Liege verzogen und ist deshalb hier nicht zu sehen. Der Künstler liess sich diese Gelegenheit nicht entgehen und fertigte das neue Blatt so schnell an, dass er selber nicht recht wusste, was mit ihm geschah, denn er spürte, wie eine magische Kraft seine Hand zu führen schien. Wie ein Blitz durchfuhr ihn dabei ein Gedanke. Scazzamaurielli! Jetzt fiel es ihm ein, davon hatte er als Kind gehört, das waren Feen oder Elfen. 

Ein lautes Husten weckte ihn. He, bist du eingeschlafen? fragte ihn eine rauchige Frauenstimme. Der Maler öffnete die Augen. Es war Gina, sein Lieblingsmodell. Ich dachte schon, dass ich dich nicht allein lassen kann. Was hast du denn getrieben? Und wer ist diese Frau auf diesen beiden Blättern. Hast keinen Moment warten können. Naja, gerade schön ist sie ja nicht. - Habe ich das wirklich selber gezeichnet? fragte sich der Maler verwirrt. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. War denn jemand da, als du gekommen bist? fragte er Gina. 

Nein, niemand. Doch, eine schwarze Katze, ein grässliches Monstrum, ist an mir vorbeigeschossen, als ich die Haustüre geöffnet habe und da war noch etwas anderes, wie ein seltsamer Lufthauch, das mich gestreift hat. Aber gesehen habe ich sonst nichts mehr. Die Scazzamaurielli, flüsterte der Künstler. Aber das glaubst du mir sowieso nicht. Er richtete sich auf und nahm nachdenklich die beiden Blätter in die Hand. Siehst du? Einen solchen Akt wollte ich schon immer zeichnen. 

Es war schon dunkel geworden draussen. Gina war wieder gegangen, sie musste ihren Husten auskurieren. Der Maler betrachtete immer wieder die beiden Blätter. Hatte er das alles geträumt, die Zeichnungen in einer Art Delirium gemacht? Aber da war doch eine Katze, hatte Gina gesagt. Wie war die in sein Atelier gekommen. Der Maler legte sich wieder auf seine Liege. Bald übermannten ihn neue Träume. Die Scazzamaurielli tanzten um ihn herum und da erschien sie wieder die alte Hexe aus dem Vexierbild mit Schnurrli auf ihrem Buckel.

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