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Vor etwa zwei Jahren teilte mir ein guter Bekannter mit, dass er von einem Kunden angefragt worden sei, ob er nicht jemanden kenne, der sich für Bilder interessiere und vermittelte mir dessen Adresse. Als ich diesen zum vereinbarten Termin besuchte, erwartete er mich schon vor dem Haus, in dem er noch wohnte. Er war gerade dabei umzuziehen. Wir gingen in seine Wohnung, wo umzugsbedingt vieles schon verpackt und zum Abtransport bereit war, während andere Dinge noch auf die logistischen Entscheidungen des Besitzers warteten. Die fraglichen Bilder, die er mir zeigen wollte, waren aber noch greifbar.
Hauptsächlich ging es ihm um ein Bild von Erminio Kremp. Beim ersten Anblick war ich etwas enttäuscht, denn es handelte sich um eine Art Landschaftsidylle mit eine Schäferin und einer Herde Schafe in einem Olivenhain. Naja, dachte ich, das ist wohl nicht gerade, das wonach ich suche. Das Bild war allerdings in einem Raum, wo kaum Tageslicht eindrang. so brachten wir es an den einzigen Ort, wo die Lichtverhältnisse etwas besser waren, ins Badezimmer. Leider hatte ich dort nicht genug Abstand zum Bild, doch trotzdem wurde mir klar, dass es sich um ein Gemälde von hoher Qualität handelte, Idylle hin oder her.
Der Besitzer erklärte mir, dass Bilder von Erminio Kremp bei Auktionen schon für ansehnliche Preise verkauft worden seien. Ich war mir aber noch sehr unsicher und wollte mich etwas genauer über den Künstler informieren. Da ich noch bei keiner Kunstplattform abonniert war, erwies sich das als ziemlich schwierig, denn über den Künstler selber fand ich nur sehr wenig heraus und die Preise, die für seine Bilder erreicht wurden, waren nur sehr lückenhaft zu ermitteln. Das Bild liess mir aber keine Ruhe und ich machte mit dem Besitzer schon bald einen weiteren Termin ab. Die Wohnung war schon fast leergeräumt und musste die Schlussreinigung über sich ergehen lassen.
Das Bild war nun in einem praktisch leeren Raum und entfaltete dort seine Wirkung deutlich besser. Nach wie vor hatte ich aber keine klaren Vorstellungen, was es wert sein könnte. Die Angelegenheit zog sich über Wochen, Monate und schliesslich zwei Jahre hinaus. Ich lernte den Besitzer bei verschiedenen Angelegenheiten besser kennen und wir sprachen immer wieder über den möglichen Handel ohne zu einem Abschluss zukommen. Mittlerweile konnte ich mich aber schnell und zuverlässig über den Wert von Kunstwerken orientieren und fand bald heraus, was das Gemälde aktuell bei einem Verkauf einbringen könnte.
Im Rahmen eines Tauschhandels einigte ich mich mit dem Eigentümer und kam so in den Besitz dieses und eines weiteren Bildes. Obwohl ich das Bild noch nicht aufgehängt habe, wird mir bei seinem Anblick immer klarer, welche künstlerische Qualität es hat. Es wirkt auf den ersten Blick wie eine Landschaftsidylle, aber wenn man es genauer ansieht, verliert es schnell das Stigma des Kitsches, denn es stellt weniger eine idyllische Landschaft sondern vielmehr eine etwas melancholische Szenerie zwischen uralten Olivenbäumen dar. Die scheinbar heitere Landschaft hat ihre dunklen Geheimnisse verborgen im Schatten des Hains.
Die Schäferin steht zwischen den Schafen, aber ihr Blick ist auf ihre Strickarbeit gerichtet, die sie in den Händen hält. Fast verloren steht sie da, in ihre Tätigkeit versunken. Gekleidet ist sie wie eine Bauernfrau mit fusslangem Rock, weisser Bluse, rotem Kopftuch und blauer Schürze. Man könnte fast meinen, dass sie auf ihrem Weg zufällig auf diese Schafherde gestossen sei und die Tiere gar nicht weiter beachte, die sich friedlich neben ihr nicht in ihrem Fressen stören lassen. Die dreizehn Schafe auf dem Bild sind wohl nur ein Teil einer grösseren Herde und vielleicht ruht sich der eigentliche Schäfer gerade unter einem Olivenbaum aus.
Die junge Frau hat den Kopf leicht zur Seite geneigt. Bei ihrer Tätigkeit bleib ihr viel Zeit zum Nachdenken. Vielleicht hat sie eine Nachricht von ihrem Geliebten oder ihrem Ehemann erhalten, der möglicherweise in der Ferne weilt, in den Krieg gezogen oder ausgewandert ist? So verharrt sie in ihren Gedanken, Hoffnungen und Sehnsüchten gefangen. Obwohl die Szenerie heiter und friedlich wirkt, sehen wir dunkle Schatten im Olivenhain, die fast schon unheimlich wirken, aber es ist wohl kaum ein Wolf oder Bär, der in der Dunkelheit lauert.
Die Epoche von der Mitte des neunzehntenbis zum Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war in Sizilien von politischen Umbrüchen geprägt aber an der bitteren Armut der Landarbeiter im Dienste der Feudalherren änderte sich kaum etwas und sehr viele sahen sich veranlasst ihr Heil in der Auswanderung zu suchen. Zudem verharrte die vom Feudalismus, der Religion und der katholischen Kirche geprägte sizilianische Gesellschaft in einer von überkommenen Konventionen geprägten Erstarrung, die kaum soziale Veränderungen zuliess und den individuellen Spielraum stark beschränkte. Am wenigsten Freiraum hatten wohl die Frauen, da sie sich am stärksten unterordnen mussten.
DieSchäferin weiss wohl, dass Sizilien nicht die ganze Welt ist und fragt sich vielleicht, ob sie an einem anderen Ort nicht ein besseres und freieres Leben führen könnte, wo sie sich nicht als Mutter für eine Kinderschar aufopfern müsste um dann im Alter gebrechlich und verkümmert von ihrer Familie mehr schlecht als recht ausgehalten zu werden. Soll sie also ihrem Geliebten oder dem Ehemann folgen, der den Schritt schon gewagt hat und ihr in seiner Nachricht die verlockenden Wunder seiner neuen Welt schildert ohne über deren Schattenseiten ein Wort zu verlieren. Wir können ihr diese Entscheidung nicht abnehmen und hoffen, dass sie den richtigen Weg geht.
Erminio Kremp (1860-1936) war ein deutschstämmiger Maler, der sich in der besagten Epoche in Palermo niederliess und dort mit zahlreichen Künstlern in Kontakt kam. Im Besonderen war er mit den Malern Michele Catti, dessen Schüler er war und Francesco Lojacone freundschaftlich verbunden. Kremp oder Cremp wird nachgesagt, er habe das Leben eines Bohemiens geführt. In seinen zahlreichen Gemälden gibt er vorzugsweise sizilianische Landschaften, Landarbeiter bei ihrer Tätigkeit und oft auch Szenen am Meer wieder. In seinen Werken neigt Kremp dem romantischen Realismus zu, bei einigen sieht man aber auch den Einfluss des Impressionismus, der diesem Maler nicht fremd war.