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Gefallen haben sie mir immer schon, diese seltsamen Ungetüme aus einer anderen Zeit, doch leider waren sie meist sehr teuer, vor allem diejenigen mit den imposanten Trichtern. Heute sieht man sie gelegentlich in Brockenhäusern. So fand ich auch diesen in einem kleinen Brockenhaus bei einem Verkäufer, den ich kenne. Ich schaute mir das alte Gerät genauer an und musste feststellen, dass der Tonarm leider ziemlich schief herunterhing. So konnten keine Platten mehr abgespielt werden. Die Aufzugsmechanik hingegen war noch gut im Schuss.
Der Preis war für ein defektes Gerät zu hoch angesetzt. Ich verhandelte mit dem freundlichen Verkäufer und wir einigten uns auf einen günstigeren Preis. So wurde ich stolzer Besitzer eines antiken Trichtergrammophons, das allerdings noch repariert werden musste. Da ich über eine gut ausgerüstete Werkstatt verfüge, gelang es mir den Tonarm wieder so zu befestigen, dass er wieder die nötige Leichtläufigkeit für die Drehung beim Abspielen von Platten hat. Nach einer gründlichen Gesamtreinigung und dem Schmieren der Aufzugsmechanik war das alte Grammophon wieder spielbereit.
Nun fehlten mir allerdings noch die richtigen Platten. Vinylplatten, die lange auch nicht mehr sehr gefragt waren, können auf einem solchen Plattenspieler nicht abgespielt werden, da die Rotation mit 78 Umdrehungen pro Minute viel zu schnell ist und die Platte von der schwer aufliegenden spitzen Nadel unweigerlich zerstört würde. Die richtigen Platten für diese Geräte sind Schellackplatten, die bedeutend schwerer als Vinylplatten sind und leider auch die unerfreuliche Eigenschaft haben, dass sie zerbrechen können, wenn man sie fallen lässt.
Ich klapperte wieder einige Brockenhäuser ab und fand unter anderen eine Schellackplatte mit Aufnahmen von Maurice Chevalier, die leider eine unschöne Einkerbung am Rand hat und deshalb nicht ganz von Anfang an abgespielt werden kann. Ich legte die Platte auf, sorgte mit der Kurbel für genügend Laufreserve und legte vorsichtig den Tonarm mit etwas Abstand vom Rand auf. Schon trällerte der berühmte französische Schauspieler und Sänger «Folies-Bergères», eines seiner bekannten Lieder, in einer unerwartet guten klanglichen Qualität und einer überraschenden Lautstärke. Nach wenigen Minuten war die Platte schon abgespielt und ich untersuchte dieses Wunder der Technik aus dem Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts etwas genauer.
Wie war es möglich, dass ein so einfach gebautes Gerät, solche Klänge erzeugen konnte? Das Prinzip geht natürlich auf Edisons Phonographen zurück, mit dem Schallaufzeichnung erstmals möglich wurde. Der Schall wurden bei diesem noch auf Wachswalzen festgehalten. Das Grammophon und die Schellackplatte sind erfolgreiche Weiterentwicklungen. Die Schellackplatten machten es möglich Musik in ansprechender Qualität aufzuzeichnen, auch wenn ihre Laufdauer noch ziemlich kurz war. Wenn man beim Grammophon mit dem Finger über die Spitze der Nadel streicht hört man aus dem Trichter ein lautes Schaben. Die Schallwellen aus den Rillen der Platte werden über den Tonarm in den Trichter geleitet und von diesem verstärkt.
So können mit einer Technik aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts Klänge wiedergegeben werden, die vor langer Zeit aufgezeichnet wurden. Es mutet an wie eine Zeitreise, wenn man Lieder und Musikstücke hört, wie sie vor über hundert Jahren in den berühmten Folies-Bergères in Paris zu hören waren, wo ausser Maurice Chevalier, andere Stars wie Fernandel, Edith Piaf oder Josephine Baker aufgetreten waren, um nur einige zu nennen. Für mich klingt es auch authentischer, wenn ich diese ab der Originalplatte auf dem Grammophon höre, während eine digital optimierte Version davon kaum etwas vom Charme dieser berühmten Varietés in Paris vermitteln kann.
Einen interessanten Vorteil hatten diese alten Grammophone gegenüber modernen Hi-Fi-Anlagen. Man konnte sie mitnehmen und ohne grosse Umstände zum Tanz oder zur Unterhaltung Musik aufspielen, wo es gerade passte, in der Gartenlaube, beim Picknick im Park oder vielleicht am Sonntagnachmittag auf einer improvisierten Tanzbühne in einer alten Scheune. Natürlich können solche Errungenschaften gegenüber den Möglichkeiten von heute, wo fast an jedem Ort und zu jeder Zeit der ultimative Zugriff auf jede erdenkliche Komposition in allen Genres der Musik in Sekundenschnelle möglich ist, nur noch ein verständnisloses Befremden auslösen.
Auf dem Tonarm ist unter einer durchsichtigen Membran, durch welche die Schwingungen der Nadel in den hohlen Tonarm übertragen werden, «Veni, Vidi, Vici – Soundbox» zu lesen. Was dies mit dem berühmten Ausspruchs Cäsars zu tun hat, bleibt der Spekulation überlassen. Vielleicht wollte man damit zum Ausdruck bringen, dass man mit dem Grammophon die Welt wenigstens in Form von Musik zu sich nach Hause holen und so neue Klangwelten entdecken konnte. Grammophone und Platten waren nicht billig, was die Möglichkeiten naturgemäss einschränkte. Dafür blieb man davor bewahrt immer wieder das zu hören, was einem schon hinlänglich bekannt ist, wenn man nicht stundenlang in der frustrierend unerschöpflichen Auswahl moderner Streamingdienste blättern möchte.