30 Jul
30Jul

https://www.my-b-r.ch/angebote-im-verkauf/malerei

Es hing, glaube ich, an einem unauffälligen Ort, der Preis, kaum der Rede wert. Ich habe es einige Male nur flüchtig angeschaut, bis mich jemand darauf aufmerksam machte. Der Rahmen gefiel mir, obwohl er leicht beschädigt war. Es hatte keine Signatur, der Grund dafür war am besten auf der Rückseite zu erkennen, denn das Bild wurde höchstwahrscheinlich aus einem grösseren Bild herausgeschnitten und nicht sehr fachgerecht auf einen Keilrahmen aufgezogen. Die Keile allerdings fehlen, was bei einem Bild dieser Grösse aber nicht sehr nachteilig ist. 

Hinten im Rahmen steckte ein weisses Kuvert, dessen Inhalt ich nur kurz überflog. Das besagte Bild «Mutter und Sohn» hängt nun seit Jahren in der kleinen Galerie meiner Wohnung. Der Inhalt des Kuverts blieb längere Zeit unbeachtet, bis ich mich schliesslich doch entschloss im Rahmen meiner Auseinandersetzungen mit Künstlern ihn etwas genauer anzuschauen. Es waren die Todesanzeige von Hans Ulrich Saas, eine Würdigung zum achtzigsten Geburtstag und ein Nachruf anlässlich des Todes des Künstlers von Gerhard Piniel. Von diesem Autor stammt offenbar auch ein Buch über Hans Ulrich Saas, das 1986 im Verlag Huber, Frauenfeld erschienen war. 

Die beiden Texte von Gerhard Piniel im Landboten gewährten mir einen Einblick in die Entwicklung von Hans Ulrich Saas als Maler, dessen künstlerischer Höhepunkt sich erst nach langer Reifezeit in seinem Spätwerk entfaltete, was anlässlich einer Museumsausstellung 1970 dem Publikum bekannt gemacht wurde. Die Bilder dieser Periode würden an ein Danteskes Inferno erinnern, würden Mythen und Märchen über den Zustand der Welt erzählen, schreibt Gerhard Piniel. Leider sind die Bilder «Paysage au cerf-volant» und «Caprice», die den beiden Artikeln beigefügt waren, nur schwarzweiss, erlauben mir aber doch zu erkennen, dass sich ein tiefgreifender Wandel von meinem eigenen Bild bis zu den aufwühlenden Arbeiten aus dem Spätwerk von Hans Ulrich Saas vollzogen hat.

Dantes Inferno mag dafür Pate gestanden haben, mich erinnern sie auch etwas an die phantastisch hintergründigen Allegorien von Hieronymus Bosch. Aus dem Internet habe ich auch unter www.artland.com/artists/hans-ulrich-saas eine weitere Abhandlung über den Künstler gelesen. Darin findet sich ebenfalls ein Bezug auf Dantes Wanderung der Seelen zur Hölle, die Darstellung wird als ein zu Stein und Asche gewordenes Universum beschrieben, das von lemurischen Figuren bevölkert sei, was als Ausdruck schmerzhafter persönlicher Erfahrungen interpretiert wird, aus denen der Künstler Metaphern ableite, die sich auf ihn selber beziehen würden. 

Leider kann ich mir darüber nur bedingt eine eigene Meinung bilden, da ich fast keine weiteren Bilder von Saas aus dieser Periode gefunden habe. So kehre ich also zurück zu meinem kleinen Bild. Gemäss der Beschriftung auf der Rückseite des Rahmens wurde das Bild 1953 erworben. Es entstand also lange vor dem künstlerischen Höhepunkt von Hans Ulrich Saas, auch noch bevor er sich in Südfrankreich niedergelassen hatte. Ein figuratives Bild, das also in den Vierziger- oder Anfangs der Fünfzigerjahre entstanden war. Da ich der Meinung bin, dass es wahrscheinlich aus einem grösseren Bild herausgeschnitten wurde, lässt es natürlich Raum für Spekulationen über die Frage offen, wie das ursprüngliche Bild ausgesehen haben könnte.

 Bevor man das Bild genauer anschaut, fallen einem die gedeckten Blau-, Rot- und Violetttöne auf, die mit den helleren Farben der Gesichter, der Hände und des Kopftuchtuchs, der Schürze sowie auch mit den leuchtend blauen Flecken im Oberkleid der Mutter kontrastieren. Die Mutter sitzt vor ihrem Sohn und hat die Hände über ihrer Schürze gefaltet. Sie schaut nicht zu ihm empor, ihr sorgenvoller Blick gleitet gedankenvoll in die Leere. Der junge Mann steht aufrecht vor ihr, die rechte Hand auf der Hüfte abgestützt, der linke Arm hängt locker herunter. Trotz der physischen Nähe spürt man eine Distanz, Mutter und Sohn scheinen nicht gleicher Meinung zu sein. In der aufrechten, leicht zurückgelehnten Haltung des Jünglings spürt man Auflehnung, er hört sich zwar gefügig an, was die Mutter zu sagen hat, zeigt aber deutlich sein Unbehagen. Vielleicht macht ihm die Mutter Vorhaltungen, will ihn wieder auf den richtigen Weg bringen. Er aber hört gar nicht richtig zu, möchte sein Leben selber in die Hand nehmen, sich keine Vorschriften machen lassen, auch nicht von der Mutter. 

So gelingt es dem Künstler durch die Haltung der Figuren und die Wahl der Farben einen Dissens zum Ausdruck zu bringen. Die sanften Ermahnungen der Mutter scheinen den Widerstand des Sohnes eher zu verstärken. Den gefalteten Händen der Mutter setzt er die selbstbewusste Pose mit der auf der Hüfte abgestützten Hand entgegen und unterstreicht diese noch durch sein Zurücklehnen und das nach vorne gestellte linke Bein, das ihm einen sicheren Stand gibt. Die Lebenserfahrung der Mutter prallt auf das jugendliche Ungestüm des Sohnes, der sich nicht aufhalten lassen will. Erst die mannigfaltigen Blessuren im Laufe seines zukünftigen Lebens, werden ihn reifen lassen und zur Einsicht bringen. Die Mutter wird das wohl nicht mehr erleben, das weiss sie selber. 

Nun bekommt die Geschichte eine interessante Wendung, denn ich bin bei meinen Recherchen auf etwas in meiner näheren Umgebung gestossen, das mich einen Schritt weiter bringt. Dass es in Elsau ein Kunsthaus gibt, habe ich nicht gewusst, obwohl ich sicher schon viele Male daran vorbeigefahren bin. In eben diesem Kunsthaus gab es letztes Jahr eine Ausstellung über Hans Ulrich Saas, Heinrich Bruppacher und Manfred Schoch. Müssig zu erwähnen, dass ich diese leider verpasst habe. Des weiteren bin ich auf eine Webseite über Heinrich Bruppacher gestossen, die von seinem Sohn betrieben wird, leider gelang es mir nicht mit ihm in Kontakt treten. 

Aber in diesem Kunsthaus in Elsau würden sie mir sicher weiterhelfen können. Ich fand es auch mühelos und traf dort eine Frau an, die mit Blumenpflege beschäftigt war. Ich fragte sie, ob ich hier an der richtigen Adresse sei und brachte mein Anliegen vor. Die freundliche Frau empfahl mich auch sogleich ihrem Ehemann, der mich ebenso wohlwollend empfing und mich auch gleich in das Kunsthaus hineinbat. Während er die entsprechenden Unterlagen bereitmachte um mir zu helfen, sah ich mich in der Galerie um und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da hingen auserlesene Landschaftsbilder aus dem französischen Frühimpressionismus. Ich konnte mir nicht gleich alle Namen merken, aber darunter waren Arbeiten von Guillemet, Daubigny, Corot und anderen hochkarätigen Malern diese Epoche. Der freundliche Besitzer, bemerkte mein Interesse und stellte mir mit profunden Kenntnissen sehr entgegenkommend seine exquisite Sammlung vor. Nach dem unteren Stockwerk ging es noch eine Etage höher, wo weitere Meisterwerke auf mich warteten. Aber das war noch nicht alles, in einem weiteren Raum gab es eine Sammlung von exquisiten Bronzeskulpturen, die mir fast den Atem verschlug. Darunter waren einige von Renoir und Rodin, glaube ich. 

Vor unserem Rundgang durch das Kunsthaus holte mein Gastgeber genau das Buch über Hans Ulrich Saas hervor, das ich längst vergriffen glaubte. Es war sogar noch in eine Plastikhülle eingeschweisst. Da mein Gastgeber noch ein weiteres Exemplar besitzt, war er gerne bereit mir dieses zu verkaufen. Dazu schenkte er mir noch eine Reihe weiterer interessanter Broschüren und Abhandlungen. So bekam ich also unversehens in den Besitz hilfreicher Unterlagen, die mir bei meinen Recherchen einen wertvollen Dienst erweisen werden. Ich bedankte mich für die grosszügige Hilfe und all die Unterlagen und machte mich auf den Heimweg. 

Zuhause öffnete ich das besagte Buch sogleich und blätterte es kurz durch. Sogleich war mir klar, dass ich mich damit eingehender beschäftigen müsste, denn nun hatte ich Zugang zu einer Fülle von Bildern, die ich genauer betrachten musste um mir eine Meinung darüber bilden zu können. Ganz bewusst wollte ich deswegen die Beschreibungen und Analysen im Buch nicht lesen. Das erste Bild zeigt einen Mann mit einem Pferd auf einer Anhöhe über eine weite, offene Landschaft blickend. Das Pferd, ein Schimmel, ist nicht gesattelt und der Mann trägt auch keine typische Reitkleidung, trotzdem gewinnt man den Eindruck sie seien gemeinsam ein weites Stück Weg gegangen um auf diese Anhöhe zu gelangen. Die Landschaft ist nur vage angedeutet, vor sanften Hügelzügen möglicherweise eine kleine Siedlung umrissen. Der blaue Himmel nimmt gut zwei Drittel des Bildes ein. Das Bild aus frühester Schaffenszeit könnte man als Metapher deuten, ein Ausblick in die Zukunft, alles scheint offen zu sein. Die Reise kann beginnen in das kommende Mysterium.

 Geradezu hektisches Schweigen herrscht im Lesesaal, wo würdige ältere Herren von den Texten in ihren Zeitungen eingenommen sind und sich darüber den Kopf zerbrechen. Wehe dem, der es wagt sie in ihrer Versunkenheit aufzuschrecken. Hier gelingt es Saas meisterhaft in den Haltungen mehr noch als in den Gesichtszügen den inneren Aufruhr der Leser zum Ausdruck zu bringen. In der Radierung «Hiob» geht Saas in seiner Ausdruckskraft einen Schritt weiter, er stellt den von Leid und Gram gequälten Hiob dar, der in seiner Verzweiflung über die Schreckensnachrichten, derer er inne wird, den Tag seiner Geburt zu verflucht. Auf dem Boden hockend, die Fäuste an seine Brust gepresst, das Gesicht von Schmerz verzerrt, hört er sich die niederschmetternde Nachricht des Boten an, der in seiner Gestik das Grauen lustvoll ausmalt. Ihm gegenüber eine andere Gestalt auf dessen Gesicht sich nur schlecht verhohlene Häme wiederspiegelt, während der Mann im Hintergrund sich vor Entsetzen ans Kinn fasst. 

Auch bei den beiden Frauen am Tisch erzählt Saas eine Geschichte von Gram und Leid. In ihrem Schmerz das Gesicht in den Armen verbergend über dem Tisch zusammengesunken lässt sich die eine Frau von der anderen trösten, die sich ihrer annimmt und sie zu beruhigen versucht. Auf den ersten Blick etwas verwirrend die Aquatinta «Am Fenster» mit der halb heruntergelassenen Store. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man die drei menschlichen Figuren. Gibt es da noch eine vierte im Hintergrund? Schon die beredten Haltungen der Köpfe lassen Raum für Interpretationen offen. Der leicht nach hinten gebeugte Kopf der Frau im Vordergrund drückt nachdenkliche Aufmerksamkeit aus, während ihr Gegenüber mit dem schräg zur Seite geneigten Kopf in abgründiger Trauer versinkt. Etwas distanziert die Person im Hintergrund, die sich einen Reim auf das Ganze macht, trotz ihrer Betroffenheit zu verstehen versucht. Es ist ein indiskreter Blick in ein Interieur, dessen Innenleben von der halb geöffneten Store nur schlecht verborgen wird. 

Von der Radierung «Schwebende Figuren» bis zu den «Drei Teufelchen» gibt es nur wenig zeitliche Distanz, die beiden Radierungen sind im gleichen Jahr entstanden. In der ersten erkenne ich neben Vögeln, einem Flugwesen mit zwei Reitern und einem Seiltänzer ätherische Geisterwesen. Diese Arbeit wirkt fast wie ein Vexierbild, je nachdem wie man sie anschaut, schälen sich andere Gestalten heraus. Nicht sehr diabolisch wirken die «drei Teufelchen», die etwas an harmlose, aufgeplusterte Strichmännchen erinnern. Was hier noch als ein eher spielerisches Abgleiten in phantastische Welten daherkommt, nimmt bei «Ange ambigu» und «Rencontre» schon etwas mysteriösere Zuge an. 

Der zweideutige Engel in «L’ange ambigu» trägt eine Art Federkleid, der rechte Flügel leicht vom Vogelkörper abgehoben, der linke deutet in einer bedeutsamen Geste in Blickrichtung des riesigen, kauzähnlichen Kopfes. Im Hintergrund eine seltsame, betonartig strukturierte Platte, die in ihrer Form an einen Sargdeckel erinnert. In «Rencontre» nimmt der Künstler Elemente der «schwebenden Figuren» auf, allerdings dreidimensional dargestellt. Wie ein Blatt im Wind schwebt ein Phantom über einem schalenartigen Gebilde, das mit länglichen Ausstülpungen nach dem Geisterwesen ausgreift ohne es in seine Fänge zu bekommen. 

Doch nun scheint es kein Halten mehr zu geben. Immer deutlicher gleiten Saas Figuren in einen düsteren, grotesken Kosmos ab. Bilder mit seltsamen, kegelartigen Körpern in teilweise aufgebrochenen pflanzlichen Blatthüllen werden abgelöst durch Darstellungen von Wesen, die übereinanderliegend scheinbar der Verwesung anheimfallen. Bald schon treiben teils kopflose menschlich-pflanzliche Schimären wie in einem Hexensabbat ihr Unwesen. Der «Huissier» hockt wie ein Höllenhund in einer Kaverne auf einer zerfetzten Decke, in «Trouble Tête» hebt ein unheimlicher riesiger Rabe bedrohlich einen Flügel über eine in sich verschlungene Menschengruppe, in der «Salle des pas perdus» hocken in sich zusammengesunkene Gestalten mit Beinstümpfen auf einer Bank neben Füssen, die herumliegen wie achtlos abgestreifte Schuhe. 

In «Caprice» stellt der Künstler menschliche und tierische Wesen dar, die wie lästiges Ungeziefer in wilden Kapriolen in allen denkbaren Verrenkungen und Purzelbäume schlagend über ein Mischwesen aus menschlichem Körper und einem auf der linken Hand abgestütztem Schafskopf klettern. In «Qeue sans tête» ergiesst sich eine Schlange aus menschlichen teils ineinander verwachsenen Gestalten in einem endlosen Zug ohne Anfang und ohne Ende über eine wüstenartige Ebene, während in «Cyclope» eine wilde Horde versucht einen einäugigen Riesen zu besteigen, der in grimmig stoischer Gelassenheit all diese hilflosen Anstrengungen über sich ergehen lässt. In «L’oeuf du Coquecigrue» macht der Zyklop einem geierartigen Fabelwesen Platz, das schon etwas bröckelnd ramponiert mit Händen und Klauen ein riesiges Ei vor dem Ansturm einer bedrohlichen Meute schützt. 

In der «Paysage au cerf-volant» begegnen wir wieder der nun etwas ausgedünnten menschlichen Schlange, die ihr Ziel gefunden zu haben scheint und in einem düsteren Erdloch verschwindet, während über ihr ein roter Papierdrache fliegt, der in seiner luftigen Freiheit über das Drama triumphiert. Das Panoptikum des Befremdlichen setzt sich in «Visite» mit einem grauenerregenden Höllenhund im Wartezimmer fort, in «Petit diable en voyage» macht es sich ein Teufelchen in Gestalt einer Fledermaus auf einem fliegenden Mischwesen zwischen liegender Frau und Sofa bequem, das ihn durch die Lüfte trägt. Beim «Prophète» mit hagerem Oberkörper scheint sich ein Vogel im arg verunstaltetem Kopf eingenistet zu haben. Mit seiner Pfeife im Mund erinnert er an einen Whistleblower. In «La fuite» rennt ein nacktes weibliches Baumwesen mit tentakelförmigen, astigen Ausstülpungen zwischen massigen Stämmen mit schlangenartig ineinander verschlungen Ästen hindurch. All diese Gestalten geben Rätsel auf, aber noch rätselhafter ist «Pudeur», wo eine fast komplett in ein Laken gehüllte Gestalt vor der endlosen Weite eines Meeres aus ebenfalls wie mit Laken abgedeckten Höckern und Buckeln steht. 

Noch unheimlicher wird es bei «Les On» in einem Gräberfeld, wo dunkle kegelförmige Gestalten in einer Art kollektiven Auferstehung beginnen ihre Köpfe über den Rand ihrer offenen Sarkophage zu heben, die wie Kamine aus dem Boden ragen. Bei «Animula» verstellt ein weisses Phantom einem bedrohlich wirkenden vogelartigen Besucher den Weg zum Eingang in eine Felsengrotte. In einem anderen Bild daneben versteinert der «Père Ubu», ein Sinnbild aller Laster und Bösartigkeiten gleich in doppelter Ausführung an einer Felswand. Das Bild  «Guichet» stellt beim ersten flüchtigen Blick einen grob genähten amerikanischen Football dar. Sieht man genauer hin, erkennt man in einem halbseitigen Rahmen eine mit Leder überzogene menschliche Büste mit Knopfaugen und einer Mundöffnung aus der Seifenblasen emporsteigen. Den Bilderreigen schliesst «La preuve», wo drei seltsame Richter in schwarzen Roben über ihren Fall beraten. Ganz links, zur Seite blickend, einer mit menschlichem Antlitz, in der Mitte einer, der die Maske des «Huissier» trägt und rechts daneben einer mit dem Kopf eines Reihers. Dieser deutet mit knochigen Fingern auf ein halb zerknülltes Blatt, das für ihn die Schuldfrage klärt. Während der «Huissier» gebannt auf das Blatt schaut, blickt der Mensch unverwandt in Richtung des Reiherkopfs. 

Am Schluss kommt mir wieder das Bild mit dem Pferd und seinem Begleiter am Anfang des Buches in den Sinn, das ich als Metapher verstanden habe. Der Ausblick in das kommende Mysterium hat nun Gestalt angenommen. Und auch die Symbolik in meinem Bild «Mutter und Sohn» scheint sich erfüllt zu haben. Aus dem ungestümen, jungen Burschen, der seiner Mutter trotzig die Stirn bietet, ist ein gereifter alter Mann geworden, dessen Leben durch mannigfaches Leid und schmerzliche Erfahrungen geprägt worden ist, was sich in düsteren Alpträumen und schauerlichen Visionen in seinen Bildern niedergeschlagen haben könnte. In seinem Spätwerks manifestiert sich bei Saas nach meiner Meinung darüber hinaus auch eine abgründige Auseinandersetzung mit dem menschlichen Zusammenleben und drängenden Fragestellungen über die Mysterien des Lebens, die über das persönliche Schicksal hinausgehen. Die Bildtitel sind mögliche Hinweise zu den Themen, die angesprochen werden. 

Vielleicht stellt sich Saas in Bildern wie «L’ange ambigu», «Les On», «Animula» oder «Trouble Tête» den Fragen über den Tod, der unaufhaltsam näherkommt. In «Cyclope» könnte es um den scheinbar aussichtslosen Kampf zwischen Individuum und dem allmächtigen Staat gehen, der erst in «L’oeuf du Coquecigrue» erste Risse zeigt und in seiner Agonie seine teuflische Brut in Form des Eis verzweifelt schützt. Die «Paysage au cerf-volant und die kopflose Schlange in «Qeue sans tête», erinnern an die prophetische Karikatur von Paul Weber von 1932 in der leichtgläubige Menschen dem Rattenfänger Hitler mit wehenden Hakenkreuzfahnen in den offenen Sarg im Abgrund folgen. Dazu passt auch der «Prophète», der die Menschheit mit seiner Pfeife vor heimtückischen Abgründen in der gesellschaftlichen Entwicklung warnen könnte. Eine erschreckend seherische Vision, wenn man an die aktuellen Entwicklungen denkt. 

Dass der Richter in der Mitte von «La preuve» die Maske des «Huissier» trägt, dem Gerichtsvollzieher, die Saas auch beim wachsamen Höllenhund verwendet, könnte einerseits auch ein Hinweis auf die Ohnmacht des einzelnen gegenüber den allmächtigen Institutionen des Staates sein, die er mit der Seifenblasen absetzenden Gestalt in le «Guichet» noch unterstreicht. Bei «Pudeur», der Schamhaftigkeit, könnte man einen Zusammenhang mit dem «Père Ubu» sehen, dem  Sinnbild aller Laster und Bösartigkeiten, dessen Schicksal es ist an einer Felswand zu versteinern, welches an Prometheus erinnert. Rätselhafter bleiben für mich neben «La fuite», «Petit diable en voyage» oder «Caprice» einige anderer Arbeiten von Saas aus dieser späten Phase. 

Was man auch immer hineininterpretiert, Hans Ulrich Saas setzt mit seinem hintergründig abgründigen Spätwerk, das als Frucht eines langen Reifeprozesses verstanden werden kann, seinem langen Schaffensweg eine imposante Krone auf.

Kommentare
* Die E-Mail-Adresse wird nicht auf der Website veröffentlicht.