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Als ich dieses Bild vor einigen Jahren kaufte, hatte es einen alten beschädigten Rahmen, der dem Werk von Heinrich Bruppacher sehr abträglich war. Dazu kam, dass die Rückseite so aussah, als sei sie von Russ geschwärzt. Aber weder beim Rahmen noch auf der Vorderseite des Bildes gab es Spuren eines Brandes. Schon nachdem ich den hässlichen Rahmen entfernt hatte, wirkte das Bild wie verwandelt. Ein passender Schattenfugenrahmen wertete das Bild zu einem bemerkenswerten Kunstwerk auf. Die Dame im Rahmengeschäft hätte es mir am liebsten gar nicht mehr zurückgegeben, sosehr gefiel es ihr
Den Namen Sandmännchen kann man wörtlich nehmen, denn tatsächlich hat der Künstler die Farbe mit Sand vermischt. Die Farbtöne hat er nur so stark variiert, wie das bei Sand denkbar ist. Die Figur selber ist mehr in Pastelltönen gehalten, während im Hintergrund eher die Erdfarben dominieren. Der Kopf ist stark überdimensioniert, das Ohr links wirkt arg ramponiert, die Nase unschön nach Innen eingedrückt. Der Mund oder die Mundhöhle, ein längliches etwas gekrümmtes Oval, kontrastiert mit dem deutlich helleren Gesicht. Beim linken Auge ist die Pupille noch zu erkennen, während das rechte etwas verschwommen und eingetrübt ist.
Sein Blick ist auf die Zuschauer gerichtet, der rechte Arm wie zu einer bedeutenden Geste angehoben, Daumen und Ringfinger sind ausgestreckt. Es scheint, als ob das Sandmännchen etwas Wichtiges sagt oder fast wie ein Lehrer seiner Klasse etwas Bedeutendes mitteilt. Das Bild mutet einen an, als wäre es eine Kinderzeichnung, dabei hat der Künstler die Figur aber einfach auf diese Mitteilungspose reduziert und alles Unwichtige weggelassen. Was tut ein Sandmännchen eigentlich? Wie bei einigen anderen Begriffen sind seine Ursprünge in der Mythologie angesiedelt. Er streut den Kindern schlafbewirkenden Sand in die Augen und lässt so die Träume entstehen. Am Morgen reiben sich die Kinder diesen Schlafsand einfach wieder aus den Augen.
Wer Leuten Sand in die Augen streut, möchte im übertragenen Sinn diese daran hindern eine klare Sicht auf Umstände zu haben, die vielleicht nicht ganz so sind, wie es wünschenswert wäre. Das scheint aber hier nicht die Absicht des Sandmännchens zu sein, im Gegenteil, es möchte mit Nachdruck auf etwas hinweisen, das ihm sehr wichtig ist. Vielleicht geht es aber genau um das. Das Sandmännchen möchte eben nicht, dass sich die Leute Sand in die Augen streuen lassen und will sie darüber aufklären, wie sie sich dagegen wehren können. Das Bild vom Sandmönnchen hängt in meinem Arbeitszimmer. Wenn ich es länger anschaue, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, es wolle mir etwas sagen. Dies hat mich zu einer kleinen Geschichte inspiriert. So hören wir doch einfach, was es zu sagen hat.
Es ist schon spät am Abend, die Uhr hat eben elf geschlagen. Das Feuer im Kamin ist fast erloschen, der Ofen strahlt behagliche Wärme aus. Herr Santori ist in seinem Sessel eingenickt, ihm zu Füssen zusammengerollt schlummert Benno, der schwarze Kater. Die Zeitung ist Herrn Santori aus den Händen gerutscht. Doch plötzlich ist ein unterdrücktes Niesen zu hören. Er schreckt auf und blickt auf den Kater, der nur schläfrig ein Auge halb auftut um sogleich wieder einzunicken. Haaaatschiiii! tönt es nochmals laut und deutlich. Verdutzt schaut sich Herr Santori um, aber ausser ihm ist keine Menschenseele zu sehen. Benno ist aufgesprungen, macht einen bösen Buckel und schaut misstrauisch in die Zimmerecke, wo das seltsame Bild hängt.
Nochmals ist das Niesen zu hören, gleich mehrmals hintereinander. Der Kater und Herr Santori sind nun hellwach. Bitte, verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht stören aber das musste nun einmal sein, lässt sich eine näselnde Stimme vernehmen. Ja, ich bin es, Ihr Sandmännchen, verehrter Herr. Santori schaut verwundert zu dem Bild, das er erst vor ein paar Tagen erstanden und im Zimmer aufgehängt hat. Danke, dass Sie mich nicht länger im Korridor haben stehen lassen, da tanzen nämlich nachts die Mäuse und ihr lieber Herr Kater legt sich auf die faule Haut. Am Tag tut dieser Mäusejäger in spe so, als würde er ständig Jagd auf diese widerlichen Nager machen, aber nachts geht er lieber in Deckung, wenn sich diese ungebetenen Gäste durch Ihre Vorräte fressen.
Der Kater streift Santori schmeichlerisch um die Beine und tut so, als hätte er nichts verstanden. Hätten Sie mir vielleicht etwas um die Nase zu putzen? fragt das Sandmännchen. Santori geht auf das Bild zu und reicht ihm sein Taschentuch. Das Sandmännchen schnaubt geräuschvoll in das schneeweisse Tuch und will es dem Besitzer zurückgeben, doch dieser winkt ab. Nein danke, behalten Sie es ruhig. Ein Trippeln und Rascheln ist zu vernehmen. Das Sandmännchen deutet in die andere Zimmerecke, wo ein seltsames Schauspiel zum besten gegeben wird. Eine ganze Mäuseprozession ist dort aus einem dunklen Loch hervorgetrippelt und macht sich nun feierlich auf den Weg in die Küche. Benno verdrückt sich unter das Sofa.
Ja, das sind Zustände hier, kaum zu glauben, lässt sich das Sandmännchen mit spöttischem Unterton vernehmen. Ihr Herr Kater hat Sie da schön an der Nase herumgeführt. Ich denke, er steckt mit diesen widerlichen Viechern unter einer Decke. Wenn ihr mir jeden Tag einen kleinen Tribut gebt, könnt ihr euch gerne in der Küche sattfressen. Mäuse vermehren sich ja wahnsinnig schnell, da macht es nicht viel aus, wenn da mal eine über die Klinge springen muss und dafür die anderen in Ruhe gelassen werden. Es gibt in der Mäusegesellschaft ja auch Alte und Kranke, die es ohnehin nicht mehr lange machen, die selber froh sind, wenn sie nicht länger zur Last fallen.
Aber das ist doch... , stammelt Herr Santori empört, und ich habe Benno immer für seine Heldentaten gelobt, wenn er mir eines seiner Opfer vor die Füsse gelegt hat. Wenn sich Maria, die Köchin wieder einmal über die Mäuse beschwert hat, dachte ich, Benno gebe zwar sein bestes aber es hätte eben zu viele Mäuse. – Ja, das haben Sie wohl geglaubt, so gutgläubig wie Sie sind und Benno hat Sie schamlos ausgenutzt, dieses verkaterte Leichenräumkommando, entgegnet das Sandmännchen im Tonfall eines Oberlehrers. Keine Spur von Benno, der wohl gerade daran ist, seiner Opfergabe den Gnadenbiss zu geben.
Von der Küche her sind Geräusche zu hören, da scheint ein wildes Treiben im Gang zu sein. Bald schon macht sich die Mäusekolonie sorglos auf den Rückweg. Santori traut seinen Augen nicht. Reich beladen schleppen die Mäuse seinen Käse in ihre Privaträume hinter der Wand. Immer noch keine Spur von Benno. Wie gelähmt schaut der Hausherr zu, wie die Mäuse unbehelligt in ihrem Loch verschwinden. Haaaatschiiii! Das Sandmännchen schnaubt nochmals in das weisse Taschentuch. Es wendet sich wieder an Herr Santori. Das war ich Ihnen schuldig, mein lieber Herr, jetzt sind Sie im Bilde. - Ja, herzlichen Dank auch, würgt Santori zornig hervor. Wenn mir dieser Kater nochmals unter die Augen kommt.
Guten Morgen Herr Santori, haben Sie die ganze Nacht in ihrem Sessel verschlafen? fragt Maria, die Köchin. Das Frühstück ist schon bereit. Komm Benno, für dich habe ich auch etwas Gutes. Der Kater lässt sich nicht zweimal bitten. Nachdem er sich wohlig gestreckt hat, stapft er erhobenen Schwanzes in Richtung Küche, von wo ein verführerischer Duft nach Kaffee und frischen Semmeln ins Wohnzimmer dringt. Santori schaut sich ganz benommen um und reibt sich den Schlaf aus den Augen. Nichts Auffälliges. War alles nur ein Traum? Das Sandmännchen verharrt still in seinem Rahmen. Merkwürdig, da liegt ja sein weisses Taschentuch.
Heinrich Bruppacher lebte von 1930 bis 2010 und war ein vielseitiger Künstler, der sich in verschiedenen bildnerischen Künsten ausdrückte, unter anderen Malerei, Zeichnung, Collage, Gravur und Glasfenster. Nach dem Abitur folgte eine autodidaktische künstlerische Ausbildung in Paris und Schweden. Unterbrochen von zahlreichen Arbeits- und Studienaufenthalten in verschiedenen Ländern lebte er bis 1982 in Winterthur. Danach verlegte er seinen Wohnsitz in den Tessin. Er litt zunehmend an einer körperlichen Behinderung. Bruppacher war Mitglied der Künstlergruppe Winterthur.