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Selten hatte ich die Gelegenheit einen Maler persönlich kennenzulernen. Die Partnerin eines Freundes von mir nahm vor vielen Jahren einen Malkurs bei Juri Borodatchev an einer privaten Kunstschule in Winterthur. Zusammen mit diesem Freund hatte ich Gelegenheit dem Maler in seinem Atelier einen Besuch abzustatten. Er empfing uns freundlich und sofort war ich fasziniert von der Ausstrahlung dieses Künstlers, dessen Werdegang in der heutigen Ukraine und Russland begann, wo er sich schon bald einen bedeutenden Namen schuf. Welche Umstände ihn dazu bewegt haben sich in Winterthur niederzulassen, weiss ich nicht.
In seinem Atelier hingen eine ganze Reihe von Bildern, die für mich in ihrer Farbgebung und Symbolik fremdartig aber auch sehr modern waren. Er begann uns die Bilder zu beschreiben und zu erklären, denn er wollte nicht einfach nur Bilder malen, sondern damit auch seinen persönlichen Standpunkt zum Ausdruck bringen. Dabei ging es ihm um gesellschaftliche und politische Aspekte, die er einbringen wollte. Bei einigen seiner Bilder ist das sofort zu erkennen, andere haben eher einen surrealistische Einschlag.
Juri Borodatchev sprach nur gebrochen Deutsch, trotzdem konnte er gut verständlich machen, was er in seinen Bildern aussagen wollte. Auf einem Tisch lag ein Buch in kyrillischer Schrift. Für mich war es ein Symbol für die Verbundenheit mit seiner Heimat. Charkiv, wo er seinen Abschluss an der Kunstakademie machte, liegt ja in der Ukraine, aber er verstand sich wohl auch als russischer Künstler. Das zeigt sein künstlerischer Werdegang. So war er in Samara als Dozent tätig und er erhielt Aufträge vom russischen Kulturministerium sowie von Universitäten, Museen und Unternehmen in Russland. Er schuf für sie Fresken, Plakate und Grafiken in unterschiedlichen Techniken. Von ihm stammen auch Illustrationen von Kinderbüchern.
Obwohl mir seine Bilder sofort gefallen haben, war ich damals noch nicht in der Lage eines oder gar mehrere von ihm zu erwerben. Ganz unerwartet kam es nach einigen Jahren zu einer neuen Begegnung mit dem Werk des Künstlers. Da ich seit meiner Jugend Diessenhofen gut kenne, besuche ich das kleine Städtchen am Rhein immer wieder. In einer Hintergasse entdeckte ich dort eines Tages eine kleine Galerie mit dem Namen «Art Juri». Leider war die Galerie geschlossen aber nachdem ich einen Blick durchs Schaufenster geworfen hatte, war mir sofort klar, dass mit Juri nur Juri Borodatchev gemeint sein konnte.
Später war ich auf einer Tour mit meinem Rennvelo unterwegs und dachte ich könnte in Diessenhofen doch wieder einmal einen Blick in die Galerie werfen. Ich hatte Glück, denn sie war geöffnet. In meinem Velodress nicht gerade passend angezogen trat ich ein, schaute mich um und entdeckte an den Wänden und am Boden hintereinander gestellt eine Fülle von Bildern von Borodatchev. Eine freundliche Dame begrüsste mich. Leider musste ich von ihr auch erfahren, dass der Künstler auf einem Spaziergang dem Rhein entlang einen Herzstillstand erlitten hatte und daran gestorben war. Die Dame in der Galerie war offenbar seine Witwe.
Ich war sehr betroffen und bekundete mein Beileid. Mir wurde klar, dass diese Frau nun versuchte die Bilder ihres verstorbenen Mannes zu verkaufen. Ich hätte vielleicht einen guten Preis einhandeln können, wenn ich damals schon so passioniert Kunst gesammelt hätte. Aber es vergingen wieder ein paar Jahre, bis es zu einer weiteren Begegnung mit dem Werk von Borodatchev kam. Es war in einer Galerie in Zürich, die ich gelegentlich besuche. Sehr augenfällig hing dort eines seiner grossen Bilder. Auf der Webseite der Galerie wurden weitere interessante Bilder dieses Künstlers angeboten. Mein Interesse wurde erneut geweckt und ich machte mir ernsthafte Gedanken hinsichtlich eines Erwerbs von einem oder gar mehreren Bildern.
Offenbar hatte diese Galerie den ganzen Nachlass von Borodatchev erworben. Zu meiner Überraschung wurden eine grössere Anzahl dieser Bilder auf einer bekannten Verkaufsplattform angeboten. Ich beteiligte mich an dieser Auktion. Bei den ersten Versteigerungen, an denen ich teilnahm, meldete mir die Plattform, ich hätte die Auktion gewonnen und ich freute mich über den Erfolg. Zu spät merkte ich, dass die Meldung fehlerhaft gewesen und die Auktion weitergegangen war. Vielleicht lag es daran, dass die Applikation für diese Plattform nicht «up to date» war.
Bei der nächsten Versteigerung passte ich besser auf und so kam ich in den Besitz von meinen ersten vier Bildern von Borodatchev. Ich kaufte zwei weitere in der Galerie dazu und erwarb noch ein anderes Bild von einer guten Bekannten. So kam ich in den Besitz der insgesamt sieben Bilder, die auf dieser Webseite zu sehen sind. Obwohl mich der Verlust der ersten Bilder bei der Auktion noch etwas ärgert, ergeben die Borodatchev Bilder in meinem Besitz in ihrer Unterschiedlichkeit einen interessanten Querschnitt durch das Werk des Malers.
Das stimmungsvollste unter ihnen ist wohl die «Kapelle im Abendlicht». Da ich mich mit Fotografie etwas auskenne, kommt mir dabei die «blaue Stunde» in den Sinn, wo man nach dem Sonnenuntergang im erlöschenden Tageslicht bemerkenswerte Bilder schiessen kann. Der rötlichbraune Himmel kontrastiert in diesem Bild mit dem gedeckten Gelbgrün im unteren Bereich. Von dort führen spiegelhaft verzerrte, helle Linien zu den Gebäuden. Weissbläuliche, durchscheinende Flächen stechen aus dunkleren Blautönen hervor. Markant überragt die Kapelle mit der schlanken Turmspitze und den romanischen Fenstern die Komposition. Trotz der Verfremdung, kommt mir das Bild vertraut vor, denn es erinnert mich an Diessenhofen, wo Borodatchev ja gelebt hat. Die evangelische Stadtkirche hat romanische Fenster und ebenfalls eine schlanke Turmspitze.
Bei der «Stadt unter Brücken» könnte man meinen, das Bild sei gar nicht fertig. An einem Berghang drängen sich stattliche Häuser wie grosse Bauklötze zu einer Festung aneinander. Schaut man genauer hin erkennt man einzelne Flächen, die an Buchstaben erinnern. Im oberen Bereich dominieren skizzenhaft geschwungene Bögen von Viadukten, die sich teilweise auf absurde Weise überlagern. Diese Komposition hat für mich eine kubistische Note. Das Bild entfaltet eine besondere Wirkung, wenn man es in voller Grösse vor sich hat.
Einen besonderen Charme strahlt das Bild «Bruder und Schwester vor grüner Türe» aus. Eine Kollegin meinte, die Türe erinnere sie etwas an unsere Toi-Häuschen. Die grössere Schwester, es könnte auch ein älterer Junge sein, vergräbt in lässiger Haltung die Hände in den Hosentaschen. Über den Hosen trägt sie ein elegantes, offenes Jackett, darunter ein schwarzes Hemd mit aufgeknöpftem Kragen. Auffallend sind ihre weissblonden Haare. Ihr kleiner Bruder steht auf der anderen Seite der mysteriösen Türe. Unter einem schicken Regenmantel trägt er ganz nonchalant eine lange Hose und ein langes Shirt.
Die beiden stehen in bequemen Schuhen mit ihren auffallend hellen Gesichtern da, als würden sie von Scheinwerfern angestrahlt. Wächter oder gar Rausschmeisser vor einem einschlägigen Lokal sind sie hinsichtlich ihres Alters wohl nicht. Der Ort strahlt keine familiäre Atmosphäre aus und man stellt sich die Frage, was ein Kind und eine Jugendliche hier zu suchen haben. Was spielt sich hinter dem ominösen Eingang ab? Warten die beiden vielleicht auf jemanden, auf ihren Vater vielleicht, der dachte, es könnte ihnen schaden, wenn sie Zeugen von dem würden, was hinter der Türe vorgeht?
Bei der Begegnung der beiden Männer im Kaftan versetzt Borodatchev uns in eine andere Welt. Geradezu halsbrecherisch nach vorne geneigt, als würde er mit aller Kraft eine schwere Last ziehen, muss man fürchten der Mann vorne könnte gleich steif wie ein Bügelbrett in den Raum fallen. Mit nach vorne gesenktem Kopf und den Händen auf dem Rücken verschränkt scheint er ganz in sich versunken kaum Notiz von seinem Gegenüber zu nehmen dessen Kopf von seinem fast ganz verdeckt wird. Dieser wiederum stösst mit seinen Knien an die Kante einer halb geöffneten grossen Truhe.
Rechts im Bild glaubt man eine furchterregende Person in einem weiten teppichartigen Umhang zu erkennen. Vielleicht ist es ein Verfolger, der Angst und Schrecken verbreitet. Hier könnte sich Borodatchev an seine Heimat erinnert haben, an eine Szene, die sich in einer jüdischen Umgebung abgespielt hat. Mir selber kommt dabei Marc Chagall in den Sinn, der in seinen surrealistischen Bildern oft Bezug auf die jüdische Gemeinschaft seiner Heimat nimmt. Mit den grotesken Körperhaltungen seiner Figuren und deren kulturellem Hintergrund könnte man dieses Bild als Referenz an Chagall verstehen.
Im «fantastischen Traumbild» kommt Borodatchev noch näher an die surrealistische Bildersprache Chagalls heran. Auf der rechten Seite glaubt man Elemente eines Hauses zu erkennen, eine Treppe, die über eine Rampe zu einem Tor führt, ein riesiger thronartiger Sessel, ein gekachelter Boden. Auf der linken Seite führt eine hohe Pappel den Blick in eine nächtlich blaue Landschaft. Neben kontrastierendem Gelb- und Grüntönen dominieren weiss übertünchte Flächen. Wenn man mit etwas Vorstellungskraft in die Wolkengebilde schaut, erkennt man auch einen weisen Rabbiner, eine weitere Anspielung an die jüdische Kultur.
Besonders rätselhaft ist das Bild «"ВОСКРЕСЕ́НЬЕ" (SONNTAG)». Der Titel stammt von Borodatchev selber. Ein riesiger Kopf mit ungleichmässigen, androgynen Gesichtszügen, der Hals in einen dicken Schal eingebunden. Das Gesicht mit auffallend blässlich lilafarbenen, femininen Lippen erscheint unter einer maskenhaft weissen Tünche. Das Haar ist männlich kurz geschnitten. Ein dünnes Stirnband passt zu einer weissen Augenklappe, die zur Seite geschoben wurde und ein geschlossenes Auge freigibt, das übel in Mitleidenschaft geraten zu sein scheint.
Dazu passt, dass das das linke Ohr fehlt, welches eigentlich ebenso gut sichtbar sein sollte wie das rechte. Ein abgerissenes Ohr, ein blaues Auge und ein aufgeschwollenes Gesicht könnten von einer üblen Schlägerei zeugen, die mutmasslich an einem Sonntag stattgefunden hat, dann hat man ja am ehesten Zeit dafür und kann sich dann auch noch auskurieren, aber das ist reine Spekulation.
Im «Imperator» dominieren maritime Blautöne an den Wänden. Im Hintergrund lässt ein grosses Bogenfenster mit quadratischen Sprossen Licht in den Raum. Der ziegelrote, halb geöffnete Vorhang kontrastiert mit dem Blau. Der Boden ist mit weissen und blauen quadratischen Fliessen belegt. Ein schlanker, junger Mann in weissem Hemd mit schwarzem Schlips steht im Zentrum der Bar. Das Hemd hängt etwas stillos über die dunkle Hose. Die Hände auf dem Rücken starrt er gedankenverloren auf einen seltsamen Gegenstand auf dem Boden, der irgendwie an eine Tischlampe oder an einen runden Handspiegel erinnert.
Die beiden anderen Besucher drehen ihm den Rücken zu, scheinen auch ganz in ihren Gedanken versunken zu sein und nehmen keine Notiz von dem Burschen. Rechts sitzt der eine im Matrosenanzug etwas verkehrt auf seinem Stuhl, den linken Arm mit einer auffälligen Binde stützt er auf der Stuhllehne ab. Der andere sitzt auf der anderen Seite mit übergeschlagenen Beinen auf einem Barstuhl. Keiner der Gäste erinnert in seiner Pose an einen Imperator. Wenn schon herrscht hier Vereinsamung und Verlorenheit, die auszuhalten nur der Alkohol erträglich macht.
Quellen: Wikipedia