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Zwei breite, rote Haarschleifen zieren ihr braunes Haar mit den kurzen, seitlich geflochtenen Zöpfen. Die blauen Augen sind unverwandt auf ihren Bruder gerichtet. Nein, den Apfel gebe ich nicht her, meint sie störrisch. Du hast ihn mir versprochen, wenn ich dir beim Abwaschen helfe. Sie hält den Apfel in der halb offenen linken Hand und drückt ihn an ihre hellblaue Schürze. Mit dem linken Ellenbogen stützt sie sich auf dem roten Küchentisch ab. Ihre rechte Hand liegt schützend davor, als wollte sie bei einem möglichen Angriff genügend Halt haben. Ja schon, aber du hast mich doch fast die ganze Arbeit alleine machen lassen, entgegnet der Bruder verärgert. - Wenn du mir den Apfel nicht lässt, erzähle ich all deinen Freunden, dass du zuhause Hausarbeiten machen musst und dabei eine Schürze trägst, dann ist es vorbei mit deiner Herrschaft als Räuberhauptmann, entgegnet sie heimtückisch.
Zankt ihr euch schon wieder? fragt die Mutter, die schon fertig angezogen für ihren Gang zum Einkaufen in der Stadt durch die offene Küchentüre hereinschaut. Sie hat mir den Apfel geklaut und will ihn jetzt nicht mehr rausrücken, beklagt sich der Bruder. Die Schwester streckt ihm die Zunge raus, als die Mutter ihr wieder den Rücken zudreht. Ich habe ihm beim Abwaschen geholfen, dafür hat er mir den Apfel versprochen und überhaupt hat er gar nicht sauber abgewaschen, da er möglichst schnell fertig werden wollte um mit seinen Freunden «Räuberlis» zu spielen, meint sie spöttisch grinsend. Die Mutter hat keine Zeit für die ewigen Streitereien der beiden Geschwister. Wenn ich nachhause komme, ist die Küche tipptopp geputzt und das Geschirr versorgt, vorher geht ihr nicht raus, sagt sie bestimmt.
Kaum hat die Mutter die Haustüre hinter sich geschlossen, schleudert der Bruder den Abwaschlumpen auf seine Schwester, aber diese duckt sich flink und lässt das textile Geschoss an ihr vorbeifliegen. Treffsicher fegt es die kleine gläserne Blumenvase vom Küchenbüffet, welche auf dem Küchenboden in tausend Scherben zerspringt. Eine schöne Bescherung! Was wird die Mutter sagen? Als Räuber Hotzenplotz musst du aber noch etwas besser zielen, hänselt die Schwester triumphierend. Das werde ich der Mutter sagen, dann bekommst du Hausarrest, fügt sie hinterhältig hinzu, ausser du übernimmst freiwillig den Küchendienst für die nächsten zwei Wochen. Deine Räuber müssen dann halt ohne dich zurechtkommen.
Ich denke gar nicht daran, schäumt der Räuberhauptmann wutschnaubend. Das Glas kannst du selber zusammenwischen. - Bist du noch bei Trost? Was kann ich dafür, wenn du wie wild mit Lumpen um dich schmeisst? kontert sie hämisch und ist schon auf dem Rückzug aus der Küche um vor dem Schützen in Deckung zu gehen, den Apfel presst sie als Trophäe schützend an ihre Schürze. Übrigens weiss ich genau, woher du den Apfel hast und wenn du mich nicht in Ruhe lässt, werde ich dem Eichhofbauern sagen, wer die Diebe sind, die in seinem Obstgarten Äpfel klauen, fügt sie hinzu, bevor sie die Küchentüre hinter sich zuschlägt und draussen das Weite sucht.
Als ihr Verfolger mit dem Schrubber bewaffnet wutschnaubend aus dem Haus stürzt, erwartet ihn schon ein Publikum aus kichernden Gören, das sich vor dem Gartentor versammelt hat und der Schwester Geleitschutz gibt. Um ihren Sieg richtig auskosten zu können beisst diese kraftvoll in den Apfel um ihn dann laut schmatzend ihren Beschützerinnen weiterzureichen. Geistesgegenwärtig ändert der überraschte Verfolger seine Taktik, tut so, als er ob er die Mädchen gar nicht bemerken würde und macht sich daran mit dem Schrubber die Platten des Torweges zu fegen. Er scheint sehr beschäftigt zu sein, beobachtet aber die verdutzten Gören aus den Augenwinkeln, bis er nahe genug an sie herangekommen ist. Gerade will er sich mit Löwengebrüll und kampfbereit geschwungenen Schrubber auf sie stürzen ohne zu bemerken, dass sich eben ein stämmiger Mann von hinten genähert hat und kurz entschlossen mit der einen Hand den Schrubber und mit der anderen den Angreifer am Kragen packt.
Es ist der Eichhofbauer. Habe ich dich endlich Bürschchen, dröhnt seine kräftige Stimme. Glaubst du ich hätte nicht gesehen, wer sich gestern in meinem Obstgarten hinter die Äpfel gemacht hat? Mit dir und deinen sauberen Kumpanen habe ich ja schon das Vergnügen gehabt. Der Räuberhauptmann versucht in Panik sich zappelnd aus dem festen Griff des Bauern zu befreien. Dabei schreit er vorsorglich Zeter und Mordio, obwohl ihm gar kein Haar gekrümmt worden ist. Lassen sie sofort meinen Bruder los, er hat ihnen gar nichts getan, fordert die Schwester empört. Ihre Freundinnen unterstützen sie mit lautem Geschrei und tanzen wie Furien um den Bauern herum. Damit hat dieser nicht gerechnet und lässt peinlich berührt sein Opfer frei, denn schon strecken ein paar Nachbarn neugierig ihre Köpfe aus den Fenstern heraus um zu sehen, was da los ist.
Der Bruder sucht Deckung in der Meute der Mädchen. Da er nicht zum Gespött der Nachbarn werden will, macht der Eichhofbauer unverrichteter Dinge kehrt. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, bin gespannt, was eure Eltern dazu sagen werden, lässt er noch drohend verlauten und macht sich festen Schrittes von dannen. Als wäre nie etwas geschehen sind Bruder und Schwester wieder ein Herz und eine Seele. Gemeinsam helfen die Mädchen dem etwas ramponierten Helden die Küche in Ordnung zu bringen. Für die zerbrochene Vase wird die Katze als Übeltäterin auserkoren, denn bis diese wieder von ihren Streifzügen zurückgekehrt ist, hat die Mutter den kleinen Verlust schon längst vergessen. Scherben bringen Glück ja bekanntlich Glück.
Nein, an eine solche Geschichte hat der Maler Arne Siegfried (1893 - 1985) sicher nicht gedacht, als er das hübsche Mädchen mit den blauen Augen portraitierte, das brav mit hellblauer Schürze und blauem Pullover Modell sitzt, den Pausenapfel fest in der Hand haltend. Arne Siegfried war ein Schweizer Maler, der Menschen, Landschaften, Dorf- und Stadtansichten aber auch Blumensträusse in Vasen malte. Sein Malstil und die Themen variieren stark. Nebst braven Mädchenbildern, malte er auch Gefangene, Aktbilder von Frauen und Männern, mediterrane Szenen, bunte Dorfidyllen aber auch bedrückende Szenerien in düsteren Farben mit deutlichen Kontrasten, die etwas an de Chirico erinnern, allerdings ohne dessen surrealistische Komponente und deutlich verhaltener in den Farben.