Bei der Recherche nach dem Künstler Michel Engel, stosse ich haufenweise auf Ergebnisse zum Thema «Erzengel Michael» oder gar Michelangelo. Die Ergebnisse zu Michel Engel sind wenig ergiebig. Auf «sikart» erhalte ich wenige Angaben. Geboren wurde der Schweizer Künstler im Jahre 1938 in Courbevoie und gestorben ist er 2022 in Biel. Unter anderem war er Bildhauer, Maler und Zeichner. Im «Dictionnaire du Jura» finde ich weitere Informationen über den Künstler. So sei er nicht in Courbevoie sondern in Paris geboren. Michel Engel absolvierte Schulen in Frankreich und in der Schweiz, machte eine Lehre als Dekorateur und liess sich nachher zum Maler ausbilden, erste Skulpturen realisierte er im Jahr 1966. Er hatte ab 1960 zahlreiche Einzelausstellungen und nahm auch an Gemeinschaftsausstellungen teil. Seine Werke sind in zahlreichen Sammlungen der Schweiz und im Ausland vertreten. Er lebte und arbeitete in La Neuveville.
In der Kunstsammlung von Biel stosse ich auf ein Verzeichnis mit 19 Einträgen über Werke des Künstlers. Darunter sind Grafiken, Skulpturen, Reliefs und Zeichnungen. Für mich besonders interessant ist die Skulptur «Opus 1» aus dem Jahre 1970, die im Besitz der Stadt Biel ist. Das vorliegende Kunstwerk in unserem Angebot ist ein Modell dieses Werkes und wohl ein Unikat. Das gross ausgeführte Werk ist in den Ausdehnungen etwa acht- bis neunmal grösser. Schon das Modell bringt 20 kg auf die Waage, deshalb dürfte die grosse Skulptur gut und gerne eine halbe Tonne schwer sein. Modell und Grossausführung sind aber nicht identisch. Beim Modell hat man sofort den Eindruck, die Figur stelle eine Art Kugelfisch dar. Die etwa erbsengrosse Vertiefung über dem leicht geöffneten Mund erinnert an ein Auge. Bei der grossen Skulptur fehlt diese Vertiefung, die Vorstellung, es handle sich um einen Fisch, drängt sich nicht unbedingt auf. Der Name «Opus» hat ja auch nichts mit Fischen zu tun.
Die zwei halbkreisförmigen Scheiben, die sich jeweils zum Rand hin verjüngen werden von einer porösen leicht gebogenen auf dem Sockel verankerten Säule zusammen gehalten. Die Oberfläche der runden Scheiben ist vom Rand her glatt mit matt glänzender, kupfriger Patina, vor der Säule sind die Flächen links und rechts aufgeraut und wirken so, als wären hier Stücke abgeschnitten worden. Auf der Rückseite sind die Flächen etwas matter und nur auf einer Seite hat es einen aufgerauten Streifen. Dafür sticht die geschwungene Säule hier stärker ins Auge. Die Skulptur ruht auf einem quadratischen Sockel und ist stark kopflastig. Der Name Opus 1 bedeutet etwa soviel wie Werk 1. Bei Komponisten ist die Ordnung der Werke nach ihrer Opuszahl üblich. Bei bildenden Künstlern tragen die Werke oft Namen. Macht man sich Gedanken über die Bedeutung der Skulptur, darf man den Sockel nicht ausser Acht lassen, denn er ist ein integrales Element der Skulptur. Ohne diesen Sockel würde das Werk völlig anders wirken. So entsprich der Sockel bei der grossen Ausführung den Proportionen des Sockels beim Modell.
Da bei der grossen Ausführung sich die Assoziation Fisch nicht mehr zwingend aufdrängt, ist man in der Interpretation freier. Eine runde Scheibe kann die Erde symbolisieren. Dass es aber zwei Halbscheiben sind, die von einer porösen Säule zusammengehalten werden, ist kaum ein Zufall. So entsteht ein Gegensatz zwischen vorne und hinten bei den nicht spiegelgleichen Halbscheiben. Das Ganze ist zwar fest im Sockel verankert, bekommt aber durch die brüchig wirkende Säule einen fragilen Charakter. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Kopflastigkeit der Figur, die sehr leicht umkippen könnte, wenn sie in Schräglage gerät. Man kann sich unter dieser Skulptur die Erde vorstellen, die seit Äonen scheinbar unerschütterlich in ihrer kosmischen Bahn verläuft, aber doch so leicht aus dem Gleichgewicht geraten kann. Fein ausgewogene Zyklen verlieren ihre Balance, geraten aus dem Takt, die Erde gerät in einen sich immer schneller drehenden Teufelskreis sich gegenseitig antreibender Desaster und Katastrophen. Aber die Menschen sind ja gewarnt. Bringen sie die Erde aus ihrem natürlichen Gleichgewicht, zerstören sie unweigerlich den einzigen bekannten Lebensraum, wo ihre Existenz möglich ist. Auch beim Modell muss man sich vorsehen. Stellt man es zu nahe an den Rand, würde es unweigerlich herunterfallen, wenn es nach vorne kippt.
Im Verzeichnis der Kunstsammlung in Biel sind weitere Skulpturen aufgeführt. Sie sind alle aus Aluminium oder Leichtmetall gegossen, keine weitere Bronze. Sie sind sehr unterschiedlich, die Qualität der Fotos lässt nur vage Beschreibungen zu. Einige erinnern etwas an Werkzeuge oder Maschinenteile, eine sieht so aus, als seien dicke Aluminiumbleche übereinander gebogen worden, eine andere trägt den Namen «Relief» und sieht aus als sehe man in einen Maschinenraum, der von massiven Wänden umschlossen ist. Die Skulptur «Opus H» wirkt etwa so als seien Schiffschrauben- oder Propellerteile ineinander gebogen worden.
Des weiteren sind Ölbilder, Grafiken und Zeichnungen aufgeführt. Die Ölbilder sind abstrakt aber sehr unterschiedlich. Während das eine an einen Plan erinnert, sind es bei einem anderen Farbflächen in verschiedenen Nuancen von Purpurrot, preussisch Blau und Orange. Bei einem Ölbild wurde nur Schwarz und Weiss verwendet mit grauen Abtönungen in dominierenden weissen und schwarzen Streifen. Die dunklen Flächen werden von dünnen weissen Strichen durchbrochen, die wie Risse aussehen. Ein Bild trägt den Namen «Komposition mit dem Buchstaben E», wobei die Form eines auf dem Rücken liegenden grossen Ds dominiert.
Die Zeichnungen wirken ätherisch, fast durchsichtig wie Röntgenaufnahmen, teilweise koloriert. Bei einer Zeichnung meine ich einen Fisch erkennen zu können. Eine andere könnte der Entwurf einer Skulptur sein. Bei einer anderen sieht es so aus, als stehe eine menschliche Figur hinter einem Objekt mit sich überschneidenden gläsernen Formen in leichter bis intensiver Tönung. Eine andere Zeichnung könnte Bezug nehmen auf die vorher beschriebene, allerdings sind die Flächen hier nicht abgetönt. Die Werke wurden im Zeitraum zwischen 1962 und 1986 geschaffen.
Anhand dieser Werke bekomme ich nur eine Ahnung von der Bedeutung von Michel Engel. Einmal mehr fällt mir auf, dass man trotz Internet über durchaus bekannte Künstler kaum genügend Informationen findet um sich eine bessere Vorstellung von deren schöpferischem Werk zu machen. Michel Engel ist zwar erst vor zirka einem Jahr verstorben. Seine letzten Werke im Verzeichnis von Biel stammen aus dem Jahr 1986. Werke aus einer späteren Zeit habe ich nicht gefunden. So könnte es sein, dass er schon lange vor seinem Ableben etwas in Vergessenheit geraten ist. Leider ist er einer unter vielen seiner Gilde, deren Arbeiten heute zu niedrigen Preisen, wohl unter Wert, angeboten werden, weil sie es nicht ganz in die erste Reihe der Künstlerprominenz geschafft haben.