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Müde drückt sich der Junge an die ockerfarbene Wand, die Hände in den Hosentaschen. Papa, wann gehen wir denn endlich zu den Grosseltern? fragt er erschöpft. Ich bin müde. -Gleich, hab noch Geduld. Das Spiel ist bald zu Ende. – Doch der Vater hört gar nicht richtig zu. Breitbeinig steht er da, seine Hände auf den Knien abgestützt und schaut voll konzentriert auf das Spielfeld. Na, mach schon endlich Armand, fordert er den Werfer auf, doch dieser lässt sich nicht ablenken. Geübt holt er endlich zum Schuss aus und trifft die gegnerische Kugel. Verflixt, da hast du ein Riesenschwein gehabt, ruft der Vater und wirft die Hände in die Höhe. Zeig’s ihnen, Louis, wir sind noch nicht am Ende.
Louis im gestreiften Hemd hat sich schon bereit gemacht, aber er ist heute nicht ganz bei der Sache, hat Ärger mit dem Chef gehabt und landet einen Fehlschuss. Nun liegt es am Vater, schon steht er im Wurfkreis, holt aus. Papa, ich muss mal, quengelt der Junge genau in diesem Moment. Der Schuss geht daneben. Der Vater schäumt, Gerade jetzt, hast du keine Augen im Kopf, du Nervtöter? Geh dort in die Bar, mach schon. Der Junge trottet missmutig von dannen. Er kann doch gar nichts dafür, meint Louis. Er hat ja wirklich schon über eine Stunde auf dich gewartet. - Misch dich da nicht ein, das geht dich nichts an. Du weisst ja gar nicht wie das ist, wenn man sich den ganzen Tag dieses Gemecker anhören muss.
Hoho, mach jetzt mal halblang, knurrt Louis, das nächste Mal kannst du dir einen anderen Spielpartner aussuchen. Du hast ja schon daneben geworfen, als dein Junge schon eine halbe Ewigkeit mucksmäuschenstill auf dich gewartet hat. – Und du hast Zoff gehabt mit deinem Chef, wohl Mist gebaut und jetzt gibst du mir die Schuld, willst den Mustervater spielen. Nur mit Mühe gelingt es Armand die beiden Streithähne zu beruhigen, damit sie nicht aufeinander losgehen. Das Spiel geht weiter, aber allen ist die Lust vergangen. Die Partie ist verpatzt. Die Sonne ist schon untergegangen und eine kühle Brise weht vom Meer her. Der Vater schaut zur Bar hinüber, aber sein Junge ist nirgends zu sehen.
In der Bar will niemand den Jungen gesehen haben. Nein, der war nicht da. Das wäre mir aufgefallen, ich kenne ihn, meint der Barmann, aber vielleicht ist er ja an den Strand gegangen. – Immer dieser Ärger mit diesem Lümmel, womit habe ich das nur verdient? schimpft der Vater. Aber der Barmann sieht ihm an, dass er beunruhigt ist. Er drückt seine Schirmmütze zurecht und macht sich auf den Weg über den Spielplatz an den Strand. Es ist schon dunkel geworden, die Laternen werfen ihr fahles Licht auf den verlassenen Spielplatz unter den Kastanienbäumen. Am Strand ist ausser ein paar verliebten Pärchen keine Menschenseele mehr anzutreffen. Beunruhigt schaut er sich um. Lucas, wo steckst du denn, zum Teufel? Keine Antwort, nichts regt sich.
Von der Bar her sieht der Vater zwei Männer auf sich zukommen. Es sind Armand und Louis. Habt ihr ihn gesehen, diesen Rotzbengel? Beide schütteln den Kopf. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche, doch der Junge scheint wie vom Erdboden verschluckt. Vielleicht ist er zum Auto gegangen, meint Armand. Doch das Auto steht verlassen auf dem Parkplatz. Fehlanzeige auch bei den Grosseltern, der Grossvater sei nochmals aufs Meer hinausgefahren, sagt die Grossmutter halb in Tränen aufgelöst. Schon haben sich andere Besucher der Bar der Suche angeschlossen, das halbe Fischerstädtchen ist in Aufregung geraten. Schauerliche Mutmassungen werden zum Besten gegeben. Ein Gruppe Männer hat sich gebildet, die den Roma auf ihrem Standplatz einen Besuch abstatten will. Nun ist auch die Polizei vor Ort, doch die hat vor allem Mühe, die Leute zur Raison zu bringen. Der Besuch bei den Roma wird abgeblasen.
Vom Meer her ist ein Boot zu hören, das sich dem Hafen nähert. Alle Blicke richten sich auf das alte Fischerboot, das langsam an seinen Standplatz tuckert. Der Grossvater steht breitbeinig am Steuerrad. Er legt an, schaltet den Motor aus und macht das Boot fest. Dann verschwindet er in der Kabine. Ein Raunen geht durch die Menge, denn als er wieder herauskommt hält er einen schlafenden Jungen auf seinen Armen und geht festen Schrittes über den Schiffsteg an Land. Bleich und zitternd steht der Vater fast selber wie ein kleiner Junge an der Kaimauer, als der Grossvater - sein Vater - mit seinem Kind auf ihn zuschreitet.
Du sparst dir besser deine Worte, meint der Grossvater, als er ihm den Knaben übergibt. Vorher hast du dich auch nicht um ihn gekümmert, hast ihn eine halbe Ewigkeit warten lassen, wolltest unbedingt gewinnen bei eurem Spiel. Ich habe ihn am Strand aufgelesen, als ich rausfahren wollte, da habe ich ihn halt mitgenommen, damit er nicht sich selber überlassen hier am Strand herumhängt. Der Pétanque Spieler schluckt leer und senkt beschämt den Kopf. Allmählich zerstreuen sich die Leute, die Polizei schreibt einen Rapport. Die Lichter auf dem Pétanque Platz gehen aus, Ruhe kehrt ein, nur von der Bar her hört man betrunkene Gäste. Die Grossmutter nimmt erleichtert ihren Enkel in Empfang. Sie weiss gar nicht auf wen sie zorniger sein soll, auf ihren Mann oder ihren Sohn und macht beiden heftige Vorhaltungen.
Peter Lengweiler 1920 bis 2016 war ein Schweizer Maler. Über ihn ist ausser den Lebensdaten fast nichts zu finden, auch im Künstlerverzeichnis «sikart» ist er nicht aufgeführt. Zu Unrecht, meine ich, denn das Bild «Pétanque» würde manchem namhaften Künstler alle Ehre machen. Mich erinnert es an Edward Hopper. Egal, was sich auf diesem Spielfeld abspielt, es ist ein Drama, wie bei jedem Spiel. Die Haltung der Spieler, der starke Farbkontrast zwischen den Spielern und dem kahlen Spielfeld. Der eigentliche Kunstgriff aber ist der Junge im Hintergrund, der als Beobachter der Szene eine räumliche und zeitliche Dimension gibt.
Natürlich könnte er einfach Interesse am Spiel haben und zufällig stehen geblieben sein, aber er lehnt sich an die Wand und hat die Hände in den Hosentaschen, also steht er schon längere Zeit dort und vielleicht auch nicht ganz freiwillig. Es könnte gut sein, dass er auf einen der Spieler wartet. Einer davon könnte der Vater des Jungen sein. Er ist aber nicht der einzige Beobachter, denn beim Pétanque können in der Regel nur zwei, vier oder sechs Personen mitspielen. Wahrscheinlich ist der Mann im blauen Anzug, der dem Jungen gegenüber steht, der andere Zuschauer, auch er hat die Hände in den Hosentaschen und wirkt entspannter als die Spieler. Es sind schon acht Kugeln gespielt, also ist die Partie bald zu Ende und es entscheidet sich, mit den letzten Würfen, welche von den beiden Mannschaften gewinnt. Wehe dem, der jetzt die Spieler ablenkt.