02 Feb
02Feb

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Aus einiger Distanz hat man den Eindruck es handle sich um eine Flusslandschaft, doch beim genaueren Hinsehen wird aus dem Fluss bestenfalls ein Bach, eventuell ein Weiher oder gar nur ein Tümpel. Auf einer Anhöhe wenige Meter über dem Bach etwas links von der Mitte des Bildes steht längsseitig eine alte Kate mit Strohdach und einem Kamin am Ende der linken Giebelseite. Auf der anderen Seite erhebt sich eine grosse Linde, die das Gebäude mindestens um das Doppelte überragt. Die Kate erscheint düster und verlassen im Schatten einer tiefhängenden dunklen Wolke, denn Regen oder gar ein Gewitter zieht auf. Um das Haus herum wirkt es ungepflegt und unheimlich. Im Kontrast dazu dringt im Hintergrund  die Sonne noch durch den fast heiteren Himmel. 

Ein Weg mit einem uralten Zaun aus dicken, stark verwitterten Bohlenbrettern und massiven Holzpfosten führt vom rechten Bildrand hinunter ans Ufer des Gewässers. Auf der kleinen sandigen Ebene am Ende des Weges hat sich ein Mann in dunklem Anzug auf einer mächtigen Steinplatte niedergelassen. Es scheint so als würde er einer Frau und ihrem Knaben eine Melodie auf seiner Ziehharmonika vorspielen. Die Zuhörerin trägt eine Tracht mit rotem Rock, blauer Jacke und weisser Spitzhaube, der Junge einen dunkelblauen Matrosenanzug und einen schwarzen Hut. Rechts am Ufer am Ende des halbverfallenen Zauns sind dicke Holzpfosten in den Boden gerammt. Davor liegt ein schwerer Holzbalken. 

Am linken Ufer des Gewässers führt ein sandiger schmaler Pfad über eine Böschung an den Rand eines Feldes, das sich bis zum Horizont erstreckt. Zwei Frauen, die eine dunkel gekleidet, die andere in farbiger Tracht mit weisser Spitzhaube und weissem Schultertuch, gehen auf dem Weg am Rand des Feldes entlang in Richtung eines Waldes weiter hinten. Zwischen dem Wald und der alten Kate im schattigen Vordergrund sieht man in hellem Sonnenlicht drei Häuser am Rand eines Weilers oder Dorfes. Rechts von der grossen Linde, halb verdeckt von anderen Bäumen, steht ein weiteres Gebäude, ebenfalls im Sonnenlicht. Auffallend ist dieser Helligkeitskontrast zwischen Vordergrund und Hintergrund. Das kann eine Gewitterstimmung oder eine Inszenierung des Malers sein.

Wenden wir uns nun nochmals den drei Personen im Vordergrund zu. Der alte Mann mit der Harmonika hat zum Entzücken seiner beiden Zuhörer sein Stück eben fertig gespielt. Die Mutter wirft einen scheuen Blick auf das düstere Gebäude auf der kleinen Anhöhe. Haben Sie sie noch gekannt, fragt sie den Musikus. Ja, aber da war sie schon alt und nicht mehr ganz richtig im Kopf. Sie hat wohl aus Verzweiflung den Verstand verloren. – Sie war doch eine Hexe, das sagen alle in der Schule, wirft der Knabe etwas vorlaut ein. – Nein, das war sie bestimmt nicht. Sie hat den Menschen im Dorf immer beigestanden, wenn sie Hilfe brauchten. Mit Heilkräutern kannte sie sich gut aus und als Hebamme hat sie vielen Frauen bei schweren Geburten geholfen. 

Ein dumpfer Schrei schreckt die kleine Versammlung auf. Als ob ein Mensch in Not um Hilfe rufen würde. - Das ist die alte Eule, die sich unter dem Dach eingenistet hat, erklärt der Musikus. Ich höre sie immer wieder, wenn ich hierher komme. – Warum hat die Alte den Verstand verloren? fragt der Knabe neugierig. – Ach, das ist eine lange Geschichte, die man sich im Dorf seit vielen Jahren erzählt. Ihr Mann war Seemann, den sie nur wenige Male im Jahr sah. Als ihre beiden Söhne schon fast erwachsen waren, wollten sie unbedingt mit ihrem Vater zusammen auf See gehen. Zuerst ging der Ältere, dann auch der Jüngere. Sie heuerten auf demselben Segelschiff an wie ihr Vater. In einer furchtbaren Sturmnacht lief dieses auf ein Riff vor der englischen Küste auf und sank, es gab nur wenige Überlebende. Ihr Mann und ihre beiden Söhne waren nicht darunter. Die See hatte wieder einmal ihren Tribut gefordert. 

Wieder ertönt der melancholische Schrei der Eule. - Sie ist nie darüber hinweggekommen, hat aber noch viele Jahre als Hebamme weitergearbeitet, fügte der Musiker nach einer längeren Pause hinzu. Dann war sie wirklich keine Hexe? möchte der Junge wissen. - Nein, aber als sie alt wurde, zog sie sich immer mehr zurück und wurde zusehends seltsamer. Manchmal sah es so aus, als ob sie mit ihren Söhnen zanken würde. Leute, die vorbei gingen, wunderten sich, denn es war niemand da, der ihr Antwort gab. Nun brauchte sie selber Hilfe, doch die Leute aus dem Dorf hatten schon bald vergessen, was sie alles für sie getan hatte.

Sie konnte kaum noch am Stock gehen und bald war ihr der Weg ins Dorf zu weit. Gelegentlich gingen ein paar Frauen bei ihr vorbei und brachten ihr das Nötigste. Doch sie wurde immer wunderlicher, drohte den Schlingeln mit dem Stock, wenn diese ihrer Behausung zu nahe kamen. So glaubten diese natürlich, sie sei wirklich eine Hexe. – War sie denn ganz allein? fragt die Mutter nachdenklich und zieht ihren Knaben an sich. - Da war noch eine alte Katze, das einzige Wesen, das ihr Gesellschaft leistete. Das Haus begann schon zu ihren Lebzeiten zu zerfallen, aber niemand kümmerte sich darum. 

Der alte Mann hält wieder inne und blickt traurig auf das Haus. Eines Tages fand man sie tot auf ihrer Gartenbank. Die Katze war verschwunden. Die Kate verfiel nun zusehends, niemand wollte mehr darin wohnen, denn die Leute glaubten nun wirklich, es ginge dort nicht mit rechten Dingen zu. Leute, die nachts daran vorbei gingen, behaupteten, sie hätten Stimmen gehört und merkwürdige Gestalten gesehen. Es waren wohl nur die Eulen oder der Wind, aber den Aberglauben bringt man nicht mehr aus den Köpfen heraus. Gerade wenn das Wetter so ist wie heute, traut sich kaum jemand hierher. 

Der Alte stimmt mir der Harmonika eine melancholische Melodie an. Mutter und Kind machen sich auf den Heimweg, denn die aufziehenden Gewitterwolken werden immer bedrohlicher, schon fallen die ersten schweren Tropfen. Als die Mutter sich noch einmal umdreht, ist der Alte verschwunden. Sie haben es nicht weit bis zu ihrem Heim in jenem schönen Haus, das man auf der rechten Seite hinter dem verfallenden Gebäude sieht. Der Knabe wirft einen letzten Blick zurück und erschauert, als er im hellen Schein des Wetterleuchtens glaubt ein paar unheimliche Gestalten zu den Klängen der Harmonika um das Geisterhaus tanzen zu sehen. 

Mama, da ist die Hexe mit ihren Söhnen, stammelt er wie gelähmt von der Erscheinung. Die Mutter schliesst schnell die Türe hinter sich um dem Spuk ein Ende zu machen. Ein heftiger Gewitterregen prasselt herunter, helle Blitze beleuchten die düstere Szenerie gefolgt von schwerem Donnergrollen. Als das Gewitter vorbeigezogen ist, bricht die Sonne wieder hervor. Der Knabe hat den Vorfall vergessen und spielt mit seinen Holztieren, die Mutter blickt versonnen aus dem Fenster. Nichts regt sich mehr um das alte Haus, nur das klagende Rufen der Eule ist zu hören.

Remigius van Haanen lebte von 1812  bis 1894. Bekannt ist er vor allem durch seine Winterdarstellungen. Sein Vater war schon Maler, Restaurator und Kunsthändler und gab sein handwerkliches Können an seine vier Kinder weiter. Remigius van Haanen bildete sich später in den Niederlanden, auf Studienreisen durch Deutschland und schliesslich in Wien weiter. Er konzentrierte sich vor allem auf die Landschaftsmalerei und reiste immer wieder durch ganz Europa, war aber auch als Kunstberater tätig. Schon zu Lebzeiten war van Haanen schon weit über die Grenzen der Niederlande bekannt und Mitglied zahlreicher Akademien.

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