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Schwüle Hitze herrscht, kein Luftzug ist zu spüren. Wie im fiebrigen Halbschlaf liegt der alte Mann auf seinem Bett, Schweisstropfen perlen auf seiner Stirn, sein Atem geht schwer. Die Vorhänge sind fast ganz zugezogen, durch einen Spalt fällt mildes Nachmittagslicht auf die grosse Porzellanfigur auf der alten Kommode und dem Bild darüber. Es scheint als würde Traum und Wirklichkeit ineinander verschwimmen, denn der Hengst auf der Kommode steht nicht ruhig, er bäumt sich auf, reisst wild Kopf und Vorderbeine empor. Langsam geht der Mann in seinem Tagtraum auf das Pferd zu.
Etwas muss es erschreckt haben. Ein paar sanfte Worte genügen, der Hengst beruhigt sich, steht wieder ruhig. Er legt ihm das Zaumzeug an, wirft den Sattel über und zieht die Gurtriemen fest. Schon sieht sich der Alte in der weiten Buschlandschaft der Camargue auf eine Herde Stiere zureiten. Es war ein strenger Arbeitstag, die jungen Stiere mussten von der Herde getrennt und gebrandmarkt werden. Eine grosse Herausforderung für die berittenen Wächter der Herden, den Gardians. Er geniesst die herrliche Abendstimmung in dieser grossartigen Landschaft, in der er sich so gut auskennt, als hätte er nie an einem anderen Ort gelebt.
Grossvater, Grossvater, schläfst du? fragt ihn eine zarte Kinderstimme leise. Der Alte öffnet die Augen, ein kleines dunkelhaariges Mädchen hat vorsichtig die Türe zur Kammer geöffnet und steckt seinen Kopf durch den Spalt. Es weiss, dass es den Grossvater eigentlich nicht stören darf, wenn er sich ausruht. Marie-Anne, komm nur rein, hört es ihn sagen. Müde richtet er sich auf. Marie-Anne nähert sich barfuss dem Lager, setzt sich neben den Alten, ergreift seine knorrige Hand und schaut mit ihren sanften, dunkelblauen Augen in sein hageres Gesicht. So verharren sie einen Moment fast unbeweglich und schauen zur weissen Porzellanfigur auf der Kommode.
Erzählst du mir eine Geschichte? fragt Marie-Anne den Grossvater. - Was möchtest du den hören? - Erzähl mir, wie es war, als du jung warst, bittet sie ihn. - Gut, aber ich möchte mich zuerst in meinen Lehnstuhl setzen. Er richtet sich auf und tastet sich langsam zum alten Polsterstuhl neben dem Fenster auf dem er sich niederlässt. Kannst du noch die Vorhänge etwas weiter öffnen, es ist ja schon fast Abend geworden. Das Mädchen erfüllt flink diesen Wunsch, setzt sich dann vor ihm auf den Boden und blickt ihn erwartungsvoll an. Der Grossvater sammelt sich und beginnt etwas stockend zu erzählen.
Du weisst, ich habe in einem anderen Land gelebt, als ich noch ganz jung war. Ich lebte mit meinen Eltern und meinem jüngeren Bruder auf einem kleinen Bauernhof und hatte mich heftig in die Tochter eines reichen Bauern verliebt. Wir waren oft zusammen, doch ihr Vater sah das nicht gerne, denn was hatte ich seiner Tochter mit unserem kleinen Hof schon zu bieten. An einem herrlichen Maienabend spannte ich unsere Pferde an die kleine Pferdekutsche und machte mich auf den Weg zu meiner Geliebten, da gab es noch fast keine Autos. In meinem Kopf ging alles durcheinander, denn an diesem Abend wollte ich es ihr sagen.
Die Kleine schaut gebannt zu ihm empor. Noch nie hat er ihr von seiner Jugend erzählt. Was wolltest du ihr den sagen? fragt sie ihn neugierig. - Nun, du weißt, entgegnet er, wenn man eine Frau sehr liebhat, will man für immer mit ihr zusammen sein. Ich wollte sie heiraten, das wollte ich ihr sagen. Als ich ihren Hof erreicht hatte, war ausser der Grossmutter niemand zuhause. Sie sei zum Maientanz gegangen, teilte mir die Alte hämisch mit. Ich wusste genau, dass sie in Begleitung gegangen war und ich wusste auch genau, wer ihr Begleiter war. Das hatte ihr Vater, der reiche Bauer, eingefädelt, denn nach seinem Wunsch sollte seine Tochter nicht einen armen Bauernsohn heiraten.
Da gab es in meinem Dorf einen anderen Burschen in meinem Alter. Sein Vater hatte den grössten Hof weit und breit. Ein ungehobelter Kerl, der mich schon in der Schule immer gehänselt hatte. Aber meiner Geliebten und vor allem ihrem Vater imponierte er mit seiner Angeberei sehr. In der Schule konnte er kaum die einfachsten Rechnungen lösen. Doch das machte ihm nichts aus, denn kein Schulmeister wagte es ihm schlechte Noten zu geben. Sein Vater war nicht nur reich, sondern auch der Gemeindepräsident des Dorfes. Seinem Sohn liess er aber fast alles durchgehen, auch wenn dieser mit seinen Kumpanen immer wieder böse Streiche ausheckte.
Ich musste nicht lange überlegen, wo ich meine Geliebte finden würde. Sie war sicher in den Ochsensaal gegangen, wo im Mai oft zum Tanz aufgespielt wurde. Ich sah rot vor Wut und Eifersucht, wendete kurzerhand meinen Break mit den beiden Pferden und trieb diese so heftig an, wie ich es nie zuvor getan hatte. In gestrecktem Galopp erreichte ich in wenigen Minuten den Tanzsaal und brachte die schäumenden Pferde knapp vor dem Eingang des Saals zum Stehen. Ich sprang vom Break und liess die schwer atmenden Tiere einfach stehen. Von drinnen hörte ich flotte Tanzmusik, fröhliches Lachen und Geplauder, aber das steigerte meinen Zorn nur noch.
Blind vor Wut stürmte ich in den Saal, ich hatte völlig die Kontrolle über mich verloren. In meiner Raserei tat ich Dinge, die ich nie wieder gut machen konnte. Ich kann dir nicht alles erzählen, aber ich hatte meine Geliebte für immer verloren. Noch am selben Abend musste ich Hals über Kopf mein Dorf und meine Heimat verlassen, denn die Landjäger waren hinter mir her. Überstürzt entschloss ich mich nach Frankreich zu fliehen. Ich konnte damals nur ein paar Worte Französisch, aber ich hatte einmal gehört, dass man als Fremder in diesem Land zum Militär gehen könne. Ich hatte zwar nur wenig Geld mitnehmen können, aber es gelang mir über die Grenze zu kommen.
Nach einigen Tagen hatte ich mich auf meiner beschwerlichen Flucht bis nach Marseille durchgeschlagen. Ich musste ja sehr vorsichtig sein, denn ich wollte nicht von der Polizei erwischt werden. Auf dem Weg hatte ich erfahren, dass man sich tatsächlich beim französischen Militär melden könne. Ich traf einen Landsmann, der sich gut auskannte und selber einmal in dieser Truppe gedient hatte. Er nannte sie die Fremdenlegion und beschrieb mir genau, wo ich in Marseille hingehen müsse. Ich fand den Weg zu dieser Kaserne und wurde tatsächlich dort in die Legion aufgenommen, man stellte keine Fragen, aber ich musste mich für eine lange Dienstzeit verpflichten.
Wieder wird die Türe zur Kammer geöffnet, ein Junge stapft herein und setzt sich ohne grosse Umstände neben seine kleine Schwester auf den Boden. Der Grossvater unterbricht seine Geschichte, bis sein erweitertes Publikum es sich bequem gemacht hat. Er ist schon ganz müde geworden, denn es ist schon fast Abend, aber die beiden Kinder stürmen auf ihn ein, er solle doch weitererzählen. Aber du sprichst ja immer französisch, kannst du denn noch in deiner Muttersprache reden? fragt Marie-Anne. - Ja sicher, entgegnet der Alte. Das habe ich nicht vergessen, aber ich treffe hier selten jemanden aus meiner Heimat.
Ich kenne auch jemanden, der im Militär war, bemerkt der Junge. Aber die Fremdenlegion ist wohl etwas ganz anderes. - Wie der Name schon sagt, sind die gewöhnlichen Soldaten in der Fremdenlegion keine Franzosen. Sie kommen aus vielen anderen Ländern, erklärt der Grossvater. Es gab dort auch solche aus meiner Heimat. Mein Vorteil war, dass ich gut mit Pferden umgehen konnte, denn die wurden damals im Militär noch gebraucht. So hatte ich denn während meiner Dienstzeit in der Legion immer mit Pferden zu tun, auch wenn wir in ferne Länder verlegt wurden. Ich lernte auch gut Französisch, sonst würdet ihr mich ja gar nicht verstehen.
Und deine Eltern und dein Bruder, hast du ihnen geschrieben? fragt Marie-Anne. - Ja, ich habe ihnen immer wieder geschrieben und sie haben mir auch geantwortet. So erfuhr ich, dass die Folgen meiner Raserei doch nicht so schlimm waren, wie ich es befürchtet hatte, doch ich konnte und wollte trotzdem nicht in meine Heimat zurück. In meinem Dorf hätte ich mich nicht blicken lassen können und meine Geliebte war längst verheiratet und schon eine ziemlich gewichtige Matrone geworden. So verging die Zeit und eines Tages war meine Dienstzeit in der Fremdenlegion vorbei. Ich wollte in Frankreich bleiben und suchte mir eine Arbeit.
Inzwischen gab es mehr Autos. Leute, die gut mit Pferden umgehen konnten, waren nicht mehr sehr gefragt. Aber ich fand immer wieder etwas, wo mein Talent noch nützlich war. So lernte ich vor allem die Provence gut kennen und eines Tages verschlug es mich hierhin in die Camargue. Ich hatte schon oft von diesen Gardians gehört, die mit ihren Pferden die Stierherden betreuen. Ein Herdenbesitzer suchte gerade einen Ersatz für einen Gardian, der sich bei einem Unfall schwer verletzt hatte. So kam ich auf diese Farm. Am Anfang war es schwer, aber in der Legion hatte ich gelernt in schwierigen Situationen durchzuhalten.
Aber die Farm gehört ja dir, warf der Junge ein. - Ja, heute gehört sie seit langer Zeit mir. Damals war ich hier nur ein einfacher Knecht. Doch der Patron schätzte mich sehr, da er sich auf mich verlassen konnte und vertraute mir immer wichtigere Aufgaben an. Nach einigen Jahren kannte ich die Stierzucht wie kaum ein anderer. Unsere Stiere bekamen begehrte Preise und machten bei den Stierkämpfen etwas her. Aber es war nicht nur der Erfolg bei der Arbeit, der mich hier festhielt. Da gab es auch eine junge Frau, in die ich mich verliebte. Sie war eine, die mit Tieren noch besser umgehen konnte als ich, sie war die einzige Tochter des Patrons.
War das unsere Grossmutter? fragte Marie-Anne. - Aber natürlich, bestätigte der Grossvater, und diesmal stand einer Heirat nichts im Wege, kein reicher Bauersohn machte mir meine Braut abspenstig. Unsere Kinder wuchsen auf dieser Farm auf. Den Kontakt mit meinen Eltern verlor ich nicht, sie sind aber längst gestorben. Mein jüngerer Bruder hat mich einige Male hier besucht, er hat den Hof meiner Eltern nicht übernommen, sondern ist Journalist geworden. Einmal hat er mir diese herrliche Porzellanfigur mitgebracht, auch das schöne Bild von unserer Camargue über der Kommode hat er mir geschenkt.
Aber wo seid ihr denn schon wieder? tönt es von der Treppe. Jemand nähert sich der Kammer und die Tür wird energisch geöffnet. Dachte ich es mir doch, meint die junge Frau. Konntet ihr den Grossvater nicht in Ruhe lassen? Sie lächelt verschmitzt. Ratet mal, was es zum Abendessen gibt, fragt sie listig. Soll ich dir einen Teller heraufbringen, Grossvater? - Nein, mir ist noch nicht so wohl bei dieser Hitze, antwortet er. Ich lege mich nochmals etwas auf mein Bett, morgen wird es besser sein, dann können wir zu den Herden hinausreiten, Kinder. Aber geht jetzt und lasst eure Mutter nicht warten.
Die beiden Geschwister verziehen enttäuscht ihre Gesichter, denn sie hätten den Grossvater gerne noch mit vielen Fragen bestürmt. Aber da ist nichts zu machen, wenn sie das Abendessen nicht verpassen wollen. Doch sie verlassen das Zimmer erst nach dem Ehrenwort, dass er ihnen morgen wirklich alles erzählen wird. Der Alte kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, seinen Enkelkindern kann er kaum einen Wunsch abschlagen. Das wissen sie genau. Die Dämmerung ist schon angebrochen, als er sich wieder auf sein Bett legt. Sein Blick fällt wieder auf den weissen Hengst auf der Kommode. Auf dem Bild sind die Landschaft und die Herde kaum noch zu erkennen, nur ein weisser Fleck leuchtet noch heraus. Schon ist der alte Mann wieder eingenickt und reitet in seinem Traum auf dem weissen Hengst in den prächtigen Sonnenuntergang.
Lassen wir dem alten Mann die wohlverdiente Ruhe und wenden uns noch einmal den beiden Preziosen auf bzw. über seiner Kommode zu. Die Geschichte ist reine Fiktion, aber der steigende Hengst aus Porzellan ist echt, ein Entwurf von Hugo Meisel in den Diensten der berühmten Manufaktur Rosenthal. Das Schild darauf weist auf die respektable Gräfin Maria Tysczkiewicz geborene Baroness von Buxhoeveden hin, die diese Figur im Jahre 1965 dem Sieger des Buxhoeveden-Memorials als Ehrenpreis gestiftet hat. Das Bild stammt von Georges Trincot. Obwohl ein kleineres Bild, ist es eines seiner schönsten. Kaum hätte man eine Abendstimmung in der Camargue mit Stierherde und berittenem Gardian treffender darstellen können.