01 Aug
01Aug

https://www.my-b-r.ch/journal/stiche-lithografien-radierungen-aquatinta

Noch vor nicht allzu langer Zeit waren Stiche, Lithografien, Radierungen oder Aquatinta  nicht selten begehrte Sammlerstücke. Sie schmückten die Wände an allen möglichen und unmöglichen Orten. Da sie oft nicht sehr gross sind, fand man fast an jeder Ecke noch ein Plätzchen, wo man eines oder gar mehrere aufhängen konnte. Man begegnete ihnen in Wohnzimmern, Hauseingängen, Korridoren, über Treppen, in Schlafzimmern oder gar im stillen Örtchen. Nicht alle waren sehr teuer aber seltenere Sammlerstücke hatten ihren Preis, konnten gar für tausende Franken über den Ladentisch gehen. 

Mir haben sie immer gefallen mit den zierlichen Goldrahmen, den eleganten Passepartouts, den filigranen Messinghaken zum Aufhängen. Auf die Sujets achtete ich nicht besonders, fand ich eines zu einem erschwinglichen Preis, ging es schnell in meinen Besitz über. Am liebsten hatte ich die Farbigen. So kam langsam eine kleine Sammlung zusammen, die meine Wohnung schmückte. Doch allmählich mussten sie anderen Bildern Platz machen oder verschwanden wegen eines Umzugs in einer Schachtel, wo sie dann auch blieben, weil ihre Konkurrenten in meiner Gunst gestiegen waren. 

Im Laufe der Zeit achtete ich nicht mehr besonders auf diese kleinen Preziosen, weil sich mein Geschmack geändert hatte. Ich sammelte nun mit nicht viel mehr Verstand grössere Bilder, am liebsten Ölbilder, die mich immer mehr faszinierten. Bei jedem Umzug wurden die Kisten mit den etwas angestaubten kleinen Bildern achtlos aus ihren Verliesen geholt um dann am neuen Ort gleich wieder im Estrich oder Keller zu verschwinden. Es fand sich einfach kein Örtchen mehr, wo ich nicht etwas scheinbar noch Schöneres platzieren konnte, so schmachteten meine nun verschmähten ehemaligen Lieblinge weiter in den muffigen Schachteln und gerieten dort immer mehr in Vergessenheit. 

Mein letzter Umzug ist nun schon lange her und es kam eine Zeit, wo ich mich mit dem «Nachlass» aus anderen Zeiten beschäftigen musste, weil der Platz zum Lagern knapp wurde. Ich sichtete all meine alten Schätze und viele wurden Opfer meines gestrengen Urteils, wurden aussortiert und fanden den Weg an Orte, die ich hier verschweigen möchte. Auch meine ehemaligen Lieblingsstücke mussten über die Klinge springen und wurden schnöde für wenig Geld zum Verkauf angeboten. Die Nachfrage war nicht sehr gross aber allmählich fanden sich doch ein paar Käufer und am Schluss blieben mir noch zwei Bilder. 

Damit könnte dieses Kapitel endgültig abgeschlossen sein, aber es kam anders. Mein Kollege, mit dem ich zusammen diese Webseite betreibe, besitzt neben vielen anderen Kunstwerken eine ganze Sammlung von solchen Abbildungen hinter Glas, meist mit Pferden. Als wir uns daran machten, seine Kunstwerke zu ordnen und zu bewerten, sichteten wir auch kurz diesen Teil. Doch eine eingehendere Betrachtung wurde vorerst aufgeschoben. Nachdem wir nun die Werke soweit geordnet und unsere Webseite den neuen Bedürfnissen angepasst hatten, kamen uns diese Bilder hinter Glas wieder in den Sinn. 

Wir beschlossen uns diesen eingehender zu widmen und sie ebenfalls zu ordnen. Doch da kamen schon die ersten Schwierigkeiten. Um was ging es denn im Einzelnen genau? Dass es unterschiedliche Arten von Stichen gibt, wussten wir zwar, aber wie sollte man sie unterscheiden. Daneben gibt es noch Radierungen, Lithografien und die ominösen Aquatinta. Wir stellten schnell fest, dass in dieser Sammlung das ganze Spektrum vertreten ist. Wie unterscheidet man Kupferstiche von Stahlstichen oder Holzstichen? Was ist der Unterschied zwischen einer Aquatinta und einem kolorierten Stich? Allmählich fanden nämlich wir heraus, dass unter diesen alten Abbildungen viele  Aquatinta sind, die nur Farbflächen und keine Linien aufweisen. Dass es keine billigen Drucke sind, erkannten wir an der Qualität und der Leuchtkraft dieser Druckgrafiken. 

Nun hatte es mich selber wieder gepackt. Nachdem wir abgemacht hatten, dass wir eine neue Rubrik für diesen Typ von Grafiken eröffnen würden, hielt ich selber wieder Ausschau danach und wurde schnell fündig. Zu Preisen, von denen man einst nur träumen konnte, erwarb ich einige schöne Exemplare und es gelang mir auch diese anhand von Beschriftungen oder typischen Merkmalen einzuordnen um gleich mit ein paar Beispielen den Anfang in der neuen Rubrik zu machen. So fand ich eine wunderschöne, grosse Radierung von Wilhelm Tell und Gessler nach dem berühmten Apfelschuss von Carl Gonzenbach. Ein anderes, arg ramponiertes Exemplar von dieser Radierung mit Stockflecken und einem kaputten Rahmen habe ich später auf einer bekannten Verkaufsplattform gesehen, zu einem erstaunlichen Preis. 

Später konnte ich einer mir bekannten Händlerin noch eine wunderschöne, farbige Lithografie von der Schlacht bei St. Jakob im Grossformat abkaufen, die Seltenheitswert haben dürfte. Zwar musste ich den Rahmen auseinandernehmen, alles reinigen und wieder frisch einlegen und sauber verkleben. Dabei fand ich heraus, dass das Glas wohl sehr alt ist und in seiner Wirkung zuträglicher ist als modernes Glas. Auch meine übriggebliebenen alten Stiche holte ich wieder hervor. Der eine ist offenbar ein alter kolorierter Kupferstich aus England, der andere ein Holzstich. Bei diesem Beispiel erkannte ich auch den Unterschied zwischen Holzstich und Holzschnitt und weiss nun auch, dass es sich beim Holzstich um einen Hochdruck handelt, während Kupferstiche und Stahlstiche Tiefdrucke sind. 

Wir werden uns noch viel eingehender mit dieser Materie auseinandersetzen müssen, damit uns bei der Bestimmung der verschiedenen Typen möglichst keine Fehler unterlaufen und wir die Spreu vom Weizen trennen können. Das wird vor allem meinen Kollegen, den Besitzer dieser Sammlung, beschäftigen, sodass er nach und nach diese Grafiken aus dem Dornröschenschlaf holen kann um sie auf unserer Webseite vorzustellen und anzubieten. Vielleicht können wir damit dem Trend, der diese Zeugen aus einer anderen Zeit in Vergessenheit geraten liess etwas entgegenhalten und neues Interesse für diese reizvollen Schmuckstücke wecken, damit sie den Betrachtern in ihrer Schönheit zeigen können, wie die Welt einmal ausgesehen hat in der alten Zeit.

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